Was, wenn ein Mädchen im Holocaust Instagram gehabt hätte?

So sah die reale Eva Heyman mit 13 Jahren aus, wie ein Foto in einer der ersten Storys auf @Eva.Stories zeigt.
So sah die reale Eva Heyman mit 13 Jahren aus, wie ein Foto in einer der ersten Storys auf @Eva.Stories zeigt. Screenshot
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Ein besonderes Zeitgeschichteprojekt erzählt auf Instagram das Tagebuch der 13-jährigen Eva Heyman nach, die im Vernichtungslager Auschwitz umgebracht wurde. In vielen kleinen Videos kann man ihre Geschichte sehr unmittelbar nachempfinden.

Die Mutter hat ihr einen großen gelben Davidstern auf den Mantel genäht, nun betrachtet sich die 13-jährige Eva über die Kameralinse ihres Smartphones. Der Mantel gefällt ihr nicht, sie will ihn weiter wie bisher ohne diesen Stern tragen, der sie für alle sichtbar zur Jüdin macht; wütend schimpft sie auf ihre Mutter und Großmutter. So beginnt eine der derzeit gut 30 verfügbaren Storys auf dem Instagram-Profil „Evas Story“ (geschrieben allerdings: @eva.stories). Am vergangenen Mittwoch ging das Profil als digitales Erinnerungsprojekt online, genau zum israelischen Yom Hashoah (Tag des Gedenkens an den Holocaust). Erzählt wird die Geschichte der 13-jährigen Eva Heyman aus Ungarn, die 1944 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet wurde, sie basiert auf ihrem real existierenden Tagebuch, das sie bis zu ihrem Tod führte.

In den Storys mit vielen aneinandergereihten Videos (die hier gespeichert, also nicht nur 24 Stunden abrufbar sind) und - authentisch in die Gegenwart geholt - mit allerlei Hashtags, Stickern und Emoijs angerichert stellt sich Eva (dargestellt von Mia Quiney) und ihr engstes Umfeld vor (auf Englisch mit hebräischen Untertiteln). So wird mit insgesamt 70 kurzen Videos der heutige Instagram-Auftritt eines jungen Mädchens nachempfunden.

So stellt sich Eva in der ersten Story auf ihrem Instagram-Profil vor.
So stellt sich Eva in der ersten Story auf ihrem Instagram-Profil vor. Screenshot

Eva lebt bei ihren Großeltern, weil ihre ausnehmend attraktive Mutter viel auf Reisen ist. Annie ist ihre beste Freundin (Hashtag #bff), Eva will später in der Großstadt Budapest leben und Fotoreporterin werden. Doch die unbeschwerten Tage nehmen ein jähes Ende, als ab Mitte April 1944  jüdischen Nachbarn und am 5. Mai auch Eva und ihre Familie von den Nazis ins Ghetto gebracht werden. Eva filmt, so gut es geht mit, durch einen Türspalt sieht sie, wie der SS-Offizier ihre Mutter eine Spur zu lang am Hals berührt, und im Lastwagentransporter hält sie die Kamera auf engstem Raum in die schreckgeweiteten Gesichter der anderen. „Ich schreibe dann wieder im Ghetto".

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Erschreckende Wissenslücken über die NZ-Zeit

Erdacht und vor allem finanziert hat dieses Erinnerungsprojekt der  israelische Geschäftsmann Mati Kochavi gemeinsam mit seiner Tochter Maya Kochavi, die dafür mehrere Dutzend Schauspieler gecastet haben. Evas Profil hat nach wenigen Tagen bereits mehr als 1,5 Millionen Follower. Und wenn man die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage in Österreich heranzieht, dann sind digitale Geschichtsaufarbeitungen wie diese dringend notwendig: So wussten laut Angaben der Claims Conference, einer Vereinigung jüdischer Organisationen mit Sitz in New York und Repräsentanz in Wien, nur 44 Prozent der 1000 österreichischen Befragten, dass sechs Millionen Jüdinnen und Juden im Holocaust getötet wurden. Ein Drittel der Befragten schätzte die Zahl auf zwei Millionen. 42 Prozent der Befragten konnten das ehemalige Todeslager in Mauthausen nicht nennen. Noch weniger über die Nazi-Zeit wussten jüngere, ab 2000 geborene. Dafür war deutlich mehr Menschen die Geschichte von der im Versteck lebenden Anne Frank ein Begriff, was darauf hin deutet, dass Geschichte besser über Persönlichkeiten transportiert werden kann. „Evas Story“ kann also vielleicht dazu beitragen, das, was mit Millionen Juden in Europa passiert ist, einem jüngeren, digitalaffinen Publikum zu vermitteln.

Besonders bedrückend sind die Szenen in der kleinen Behausung im Ghetto, wenn SS-Offiziere Evas Familie und andere Bewohner anbrüllen, verprügeln und demütigen. So nah wie in diesen Insta-Storys bringt einen kein Film. Trotzdem ist das Projekt nicht rundum gelungen. Die Schauspieler, vor allem die Familienmitglieder von Eva, wie ihre Mutter, sind bisweilen stark überzeichnet und wirken vor allem in den ersten Storys in der noch friedlichen Zeit wie Karikaturen. Gerade weil mit Storys heute ansonsten Situationen sehr unmittelbar, also besonders echt abgebildet werden, wirkt es irgendwie verquer, auf diesem Kanal plötzlich nachgedrehte, nicht echte Szenen zu sehen. Was die Idee zu diesem Projekt nicht schmälern soll. Es ist gut und richtig, die Schrecken der Nazi-Zeit immer wieder und auch immer wieder neu zu erzählen, damit Nachgeborene begreifen, was Menschen anderen Menschen damals angetan haben.

Das Tagebuch der Eva Heyman wurde erst 2012 vom Ungarischen ins Deutsche übersetzt. Es war das erste Buch, das im von Paul und Zsóka Lendvai gegründeten und geführten Nischen Verlag erschien.

>> Das Tagebuch der Eva Heyman im Nischen Verlag erschienen.

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