Pro7 "24": Jack Bauer's (sechster) längster Tag

(c) Fox Film
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Der leidensfähige CTU-Agent ist zurück. Vieles ist übertrieben und klischeehaft - die Suchtgefahr ist dennoch groß.

"24" sei "wie permanentes Vögeln, ohne je zum Orgasmus zu kommen", soll die Schriftstellerin Elfriede Jelinek laut "stern" einmal gesagt haben. TV-Zuschauer können sich nun wieder überzeugen, ob diese Aussage zutrifft: Auf Pro7 (bisher RTL2 und ATV) läuft immer montags im Doppelpack (ab 22:10 Uhr) die sechste Staffel der US-TV-Serie "24".

Gerade aus zweijähriger chinesischer Folter-Haft entlassen, muss der leidensfähige Agent der fiktiven Antiterror-Behörde CTU bereits in Stunde eins seines 24-stündigen Kampfes gegen das Böse den Kopf hinhalten. Bereits zum sechsten Mal erlebt er seinen "längsten Tag" - genau genommen also den allerallerallerallerallerlängsten Tag seines Lebens.

"24" im Trend der "Torture Porns"

Und der neue Böse Abu Fayed - wenig überraschend wieder ein islamistischer Terrorist - setzt gleich dort fort, wo die Chinesen aufgehört haben: Er foltert Bauer. Folterszenen gehören mittlerweile zum fixen Bestandteil der Dramaturgie. Die ersten fünf Staffeln kamen einer Studie zufolge auf 67 Folterszenen - mehr als in jeder anderen Serie. Kamen in den späten 80er- und frühen 90er Jahren Filme ohne obligatorische Sex-Szene nicht aus, ist in der Welt nach 9/11 der Griff zum Folterwerkzeug unumgänglich geworden. Die "Saw"- und "Hostel"-Serien haben es vorgemacht. Der Trend zu jenen sadistischen Filmen, die mittlerweile auch als "Torture Porns" (dt. Folter-Pornos) bekannt sind, hat also auch Einzug ins Mainstream-TV gehalten.

Und keiner leidet wie Jack Bauer. Wohl auch deshalb sehen seine Fans darüber hinweg, dass der gebrochene Antiterror-Agent, der zu Beginn der sechsten Staffel kaum ein Wort herausbringt, binnen 30 Minuten zum frisch rasierten Helden wird. Zwar zweifelt Jack, als er nach kaum einer Stunde selbst foltert, um wichtige Informationen zu erhalten, ob er dazu noch länger fähig ist - doch der Terrorist mit dem er zusammenarbeitet kann ihn beruhigen: "Das kommt wieder". Klingt karikaturenhaft - und ist es auch.

Jack Bauer agiert Jesus-ähnlich

Überhaupt: Stand "24" bislang - abgesehen von den durch die Echtzeit-Dramatik bedingten übertriebenen Wendungen - für harten Realismus, wirkt der Start der sechsten Staffel teilweise wie eine unfreiwillige Persiflage. Jack Bauers Rückkehr als langhaariger, von der Folter gezeichneter Mann, der für das Bekenntnis zu seinem Glauben (das Wohl der Nation USA) gequält wurde, ist wohl nicht nur zufällig Jesus-ähnlich inszeniert. Auch dass sich der soeben zurückgekehrte Jack selbstlos an Terroristen ausliefern lässt, damit die USA an wichtige Informationen über einen anderen Terroristen kommen, passt in dieses Bild.

Dass er aber tatsächlich sagt, er sei froh, so zumindest einen sinnvollen Tod (im Vergleich zu einem sinnlosen Tod im chinesischen Folter-Gefängnis) zu sterben, ist schon fast unerträglich übertrieben. Ebenso wie das nahezu unübersichtliche Geflecht an Beziehungen und Affären zwischen dem auftretenden Personal der Serie.

"Himmlers of Hollywood"?

Gleichzeitig sind sich die "24"-Macher aber auch treu geblieben. Gekonnt spielen sie mit Vorurteilen und den Erwartungen der Zuschauer. Als etwa gleich zu Beginn ein arabischstämmiger Mann mit Rucksack einen Bus besteigen will, verweigert ihm der Busfahrer den Zutritt. Kurz darauf sprengt ein asiatisch aussehender Fahrgast sich selbst und den Bus in die Luft. Gut und Böse - es ist nicht alles so übersichtlich, wie es auf den ersten Blick scheint: auch das ist eine Botschaft, die "24" vermittelt.

Der vom TV-Sender Fox produzierten Serie wurde vorgeworfen, Folter als legitimes Mittel im Kampf gegen den Terror zu rechtfertigen. Der Direktor des Londoner Birkbeck-Instituts für Geisteswissenschaften, Slavoj Zizek, kritisierte die Helden von "24" gar als die "Himmlers of Hollywood". Seine Kritik: "24" würde die Botschaft vermitteln, dass man "schreckliche Dinge" im Namen einer "guten Sache" tun und gleichzeitig seine Würde behalten könne.

Der Feind lauert im Inneren

Aber der Zuseher wird auch mit moralischen Fragen konfrontiert: Ist Folter im Kampf gegen "das Böse" zulässig? Ist wirklich jedes Mittel recht, um die nationale Sicherheit zu gewährleisten? In nahezu jeder Staffel werden hohe Mitglieder der US-Regierung bis hinauf zum Präsidenten als korrupt und skrupellos dargestellt. Der Feind lauert nicht selten im Inneren. In diesem Zusammenhang wird die Problematik erhöhter Sicherheit auf Kosten eingeschränkter Bürgerrechte thematisiert.

"24" hält der US-Gesellschaft den Spiegel vor: Wer ist der eigentliche Feind? Die Terror-Organisation Al Qaida oder gar die US-Regierung, die durch die Erschaffung eines "Imperiums der Angst" ((c) Benjamin Barber) Paranoia schürt, um Schritt für Schritt die Bürgerrechte zu beschneiden?

"Die Vernunft kann nicht widerstehen"

Dass vieles in der sechsten Staffel überzeichnet wirkt, mag daran liegen, dass sich Echtzeitdramatik und Split-Screen langsam abnützen. "24" sei, so ein Vorwurf der Kritiker in den USA, vorhersehbar geworden. Eigentlich des Todesurteil für eine Serie, deren Erfolgsrezept wesentlich darauf basiert, den Zuseher mit einer überraschenden Wendung nach der anderen am Zappen zu hindern.

Warum Staffel sechs dennoch funktionieren wird? Joachim Huber vom "Tagesspiegel" hat es auf den Punkt gebracht: "'24' ist ein TV-Suchtmittel von größter Wirkung, ein Strudel, dem die Vernunft nicht widerstehen kann."

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