Das Kölner Duo Ballauf und Schenk ermittelt in „Freddy tanzt“ nach dem Tod eines obdachlosen Musikers. Jeder scheint involviert, doch keiner will etwas gesehen haben. Eine Parabel auf die heutige Ich-Gesellschaft.
Unsere „Tatort“-Wertung:
4 von 5 Punkten
Worum geht es?
Ein obdachloser, talentierte Pianist auf Jobsuche. Ein nach einer Gehaltserhöhung aufgeheiztes Banker-Trio auf Frauenfang. Ihre ungleichen Wege kreuzen sich in einer Kölner Bar. Die Stimmung ist angespannt, schnell eskaliert die Situation und es kommt zu Handgreiflichkeiten. Einige Tage später wird der junge Musiker Daniel Gerber tot am Rheinufer aufgefunden – brutal verprügelt und seinen inneren Verletzungen erlegen. Alle Spuren führen zu einem Wohnhaus, wo der junge Mann noch in derselben Nacht um Hilfe geklingelt hat. Dort schlägt den Kommissaren Klaus Ballauf und Freddy Schenk eisiges Schweigen entgegen – keiner der Bewohner will etwas gesehen, geschweige denn die Tür geöffnet haben. Die Blutflecken im Stiegenhaus erzählen jedoch eine andere Geschichte.
Worum geht’s noch?
Die Grenzen zwischen Täter- und Opferrolle verschwimmen in diesem „Tatort“. Hier trägt jeder sein Päckchen, seine kleine traurige Lebensgeschichte, mit sich herum. Da bleibt kein Platz für die Nöte der anderen. Und Zivilcourage scheint allgemein ein Fremdwort zu sein. „Ein junger Mann musste sterben, weil ein ganzes Haus den Affen gibt: Nichts sehen, nicht sagen, nichts hören“, dreht Ballauf nach unzähligen Falschaussagen der Hausbewohner auf. In puncto Zivilcourage muss der Kommissar jedoch zuallererst sich selbst bei der Nase nehmen: War es doch er, der die verzweifelte Mutter und langjährigen Nachbarin kurz nach dem Verschwinden ihres Sohnes halbherzig abfertigte – und die versprochene Fahndung nicht einleitete „Interessieren Sie sich nur für die Toten?“ , bemerkt Frau Gerber bitter, als er sich wenig später des Mordfalls annimmt.
Wer ermittelt?
Das Kölner Ermittlerteam Klaus Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) ist seit beinahe 20 Jahren ein Fixstern im „Tatort“-Universum. Diesmal erhascht der Zuschauer einen Einblick in die ganz persönlichen Schwächen und Sehnsüchte der Kommissare. Wo Ballauf nach dem Gespräch mit seiner Nachbarin seine Auffassung von Zivilcourage und Empathie überdenken muss, frönt sein Kollege Schenk der Liebe zur Musik und den Frauen. Nicht umsonst heißt die Folge „Freddy tanzt“: Da sieht man den bärbeißigen Ermittler, wie er sich geschmeidig im Club zu Woodkids „I love you“ wiegt, dem Kölner Rundfunkorchester begeistert Beifall klatscht und hemmungslos mit der alleinstehenden Zeugin flirtet. Die attraktive Kunstprofessorin Claudia Denk (Ursina Lardi) hat es ihm angetan – so sitzt der verheiratete Schenk bald zwischen allen Stühlen und muss seine Ehe hinterfragen.
Was gefällt?
Viele musikalische Einlagen und eine Menge trockener Humor hellen die ansonsten düstere Folge auf. Das gesamte WDR Funkhausorchester wurde für den Dreh eingespannt und gab im Kölner Funkhaus sein „Tatort“-Debüt. Daneben erheitern Aussagen der Ermittler wie „Die junge Dame, Abteilung Blasmusik, hat das Alibi bestätigt“ oder „Gibt's das auch in heiß?“ in Bezug auf den fragwürdigen Kaffee am Polizeirevier.
Wo hakt's?
Nirgends. Ein stringent erzählter, sehr solider - wenn auch nicht herausragender - Kölner „Tatort“. Ton und Stimmung passen zu der schweren Kost der Folge - und im besten Fall schaltet der Zuseher mit dem Fernseher nicht auch alle Gedanken über den Fall ab. Denn fehlende Zivilcourage ist keine Kölner Spezialität und das Thema gerade nach dem Todesfall in einer Wiener U-Bahn-Station auch hierzulande aktueller denn je.