Reichenau: Zauberberg der Traditionalisten

Reichenau Zauberberg Traditionalisten
Reichenau Zauberberg Traditionalisten(c) Robert Jäger
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Zum 25. Geburtstag zeigen die Festspiele Reichenau packenden Stefan Zweig: "Ungeduld" in Michael Gampes einfühlsamer Regie. Wie sieht die Zukunft des Festivals aus?

Eine pikante Konstellation ergab sich heuer zum Auftakt der 25. Festspiele in Reichenau: 2015 gibt Peter Loidolt die Intendanz ab, mit seiner Frau Renate plant er den Rückzug in den Aufsichtsrat. In Nestroys „Frühere Verhältnisse“ stehen dieses Jahr zwei potenzielle Nachfolger auf der Bühne: Maria Happel (49) und Nicolaus Hagg (45). Die Burgschauspielerin hat dem Festival schon manche grandiose Aufführung beschert wie z. B. „Der Weg ins Freie“ nach Schnitzlers Roman. Als Schauspielerin ist die gebürtige Deutsche meist weit überzeugender als der Kärntner Hagg, der vor allem als Kabarettist bekannt war, bevor er sich als Autor profilierte – in Reichenau. Er dramatisierte u. a. Doderers „Strudlhofstiege“ für das Südbahnhotel am Semmering und verfasste das hoch interessante Stück „Spion Oberst Redl“, das in Reichenau uraufgeführt wurde.
Ferner schrieb Hagg die Theaterfassung von Tolstois „Anna Karenina“, die gestern, Samstag, in Reichenau Premiere hatte – in der Regie von Hermann Beil (71). Der gebürtige Wiener, langjähriger Mitstreiter von Claus Peymann, könnte ebenfalls bei der Intendanten-Diskussion ins Spiel kommen. Dass Beil sich zu mehr verführen lässt als zur Galionsfigur ist eher unwahrscheinlich. Eine weitere Möglichkeit wäre der Burgschauspieler Jürgen Maurer (45), ein begnadeter und intelligenter Schnitzler-Interpret, ebenfalls aus Kärnten. Die Nationalität sollte freilich bei der Auswahl die geringste Rolle spielen. Ein weiterer Faktor im Nachfolgespiel sind vermutlich die beiden Töchter der Loidolts. Jedenfalls: Es herrscht kein Mangel an Interessenten, Kandidaten, auch Journalisten sind dabei. Doch: Was braucht Reichenau?

Programmwechsel wäre fatal. Für Peter und Renate Loidolt ist das mehr oder weniger klar: Sie wollen sich aus dem operativen Geschäft zurückziehen und dafür sorgen, dass die Festspiele in ihrem Sinn weitergeführt werden. Das klingt einfacher als es ist. Reichenau besteht aus dem Intendanten-Paar. Es ist kein öffentliches, sondern in Wahrheit deren privates Festival, finanziert von den Besuchern (bis zu 40.000 im Jahr), Vereinsmitgliedern, Sponsoren. Die Eigendeckung beträgt 85 Prozent. Intendantenwechsel sind, wie man von Wiener Theatern weiß, mitunter von Besucherschwund infolge des Programmwechsels begleitet. Das wäre in Reichenau fatal. Wie sieht es künstlerisch aus? So langweilig und konservativ das klingt: Am besten wird es sein, wenn alles bleibt, wie es ist. Die Wiener Theater und Festivals (Festwochen) bieten reichlich Experimentelles. Das Reichenauer Publikum fährt wegen des traditionellen Stils dorthin, im Zeichen des Neokonservativismus wächst die Klientel auch nach. Man kann das eine oder andere neu machen. Peter Loidolt will seit Jahren einen Kafka spielen. Man kann Oscar Wilde, Molnár, französische, englische Komödien, auch zeitgenössische servieren. Man kann mehr Spitzen- und weniger mittlere Schauspieler engagieren, mehr junge, weniger Veteranen.

Tüchtige Unternehmer. Aber das Konzept komplett zu ändern, wäre Unsinn. Die Festspiele Reichenau sind kein gewöhnliches Sommertheater, sondern ein straff organisierter Betrieb, dessen Chefs hart arbeiten: Renate Loidolt kümmert sich auf sehr persönliche Weise um die Zuschauer. Peter Loidolt betreut Bühnenbild, Technik. Gemeinsam wählen die beiden Programm und Besetzungen. Die neue Führung wird sich engagieren und diplomatisches Geschick zeigen müssen angesichts der Festivalgründer im Aufsichtsrat. Dafür bekommt er ein wohl etabliertes Unternehmen, das geliebt wird wie wenige (Kunst-)Betriebe, von den Künstlern wie vom Publikum. Vorderhand ist noch Zeit, das heurige Programm bisher war gemischt, es gab schon durchaus glanzvollere Saisonen.
Die dritte Premiere galt Freitagabend der Theaterfassung von Stefan Zweigs Roman „Ungeduld des Herzens“. Krimi-Autor Stefan Slupetzky („Der Lemming“) straffte Zweigs gewaltiges Gesellschaftspanorama vom Vorabend des I. Weltkriegs etwas ruppig, aber effektvoll. Michael Gampe inszenierte die Geschichte eines jungen Offiziers, der sich mit einem gelähmten Mädchen anfreundet, das die einzige Tochter eines steinreichen Mannes ist.

Brillante Protagonisten. Merle Wasmuth und Claudius von Stolzmann sind ein überaus intensives Paar: Edith verliebt sich in den mittellosen Leutnant Hofmiller, der vor ihrer Leidenschaft zurückschreckt. Als er sich zu ihr bekennen will, ist es zu spät. Die geglückte und klug besetzte Aufführung erfordert Geduld, Aufmerksamkeit: Marcello de Nardo ist wunderbar als Ediths Vater. André Pohl berührt als engagierter Arzt mit seiner blinden Frau (Elisabeth Augustin). Rainer Frieb gibt den Apotheker, der verrät, dass Hofmiller seine Verlobung mit Edith vor seinen Kameraden geleugnet hat.
Hofmillers Offizierskollegen (Robert Finster, Christoph Zadra) sind allzu boshaft überzeichnet, Ilona, Ediths Pflegerin (Karin Kofler), ist nicht so jung wie im Roman, der Oberst (Roman Frankl) eleganter geraten als im Buch. Insgesamt ist hier ein Kunststück des oft verpönten psychologischen Theaters zu erleben, das eine der Stärken der Festspiele Reichenau ist. Wenn der künftige Chef oder die Chefin zunächst auf mehr Spaß und eine Spur mehr Sex-Appeal setzt als zuletzt üblich, kann wenig schiefgehen bei diesem Festival, das im Grunde weniger Mekka und Mirakel ist, als immer behauptet wird. In Reichenau wird konsequent gute bis erstklassige Qualität geboten. Das ist die Force dieses Festivals fürs gutbürgerliche Publikum.


FESTIVAL MIT SNOB-APPEAL

Reichenau begann mit Karl Farkas, Schnitzler, Nestroy
Kavalierstart: 1988 kamen fast 4000, 1989 über 7000 Besucher. 1990: 11.000. Heute sind es 40.000 Besucher.
2000–2010: Theaterfans stürmen das Südbahnhotel
2005 wird der neue Spielraum eröffnet. Die Bandbreite des Programms wächst: z. B. Tschechow, Hauptmann, Werfel.
Lokalmatador Schnitzler: 1989–2012: 20 Produktionen.

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