Theater: „Seliger Franz Jägerstätter, bitte für uns!“

FOTOPROBE: 'JAEGERSTAETTER' IM THEATER IN DER JOSEFSTADT
FOTOPROBE: 'JAEGERSTAETTER' IM THEATER IN DER JOSEFSTADTAPA/HANS KLAUS TECHT
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Der Dramatiker Felix Mitterer macht das Schicksal des von den Nazis hingerichteten Katholiken in einem präzisen Text begreifbar. Regisseurin Stephanie Mohr gelingt eine bemerkenswerte Uraufführung.

Wie Axel Cortis legendärer Film „Der Fall Jägerstätter“ aus dem Jahre 1971 beginnt auch Felix Mitterers am Donnerstag in Wien uraufgeführtes Drama „Jägerstätter“ mit dem Ende: Der Vorhang des Theaters in der Josefstadt ist nur einen Spaltbreit geöffnet, eine Hand greift nach einem Brief, der Vorhang geht hoch, und Franziska Jägerstätter (Gerti Drassl als Idealbesetzung) liest vor, dass das vom Dritten Reich verhängte Todesurteil gegen ihren Mann vollstreckt wurde. Franz Jägerstätter, ein Innviertler Bauer von 36 Jahren, ist am 9.August 1943 in Brandenburg hingerichtet worden, weil er als Katholik aus Gewissensgründen den Dienst im Krieg der Nazis verweigert hat. Er hinterließ eine Frau mit drei Töchtern und eine außereheliche Tochter.

Ganz anders als Corti holt Mitterer dann in Rückblenden aus, um das Schicksal dieses Mannes, der 2007 seliggesprochen wurde, als präzise Dorfgeschichte begreifbar zu machen. Aber auch dem Tiroler Dramatiker ist in dieser Montage aus Originalzitaten und Eigenem ein großer Wurf gelungen – lebendiges Theater, ein didaktisches Volksstück, das nie sentimental wirkt, sondern einfach wahr. Die Inszenierung von Stephanie Mohr ist bemerkenswert.

Lebenslust, nicht Fanatismus

Wesentlich trägt dazu die Besetzung der Titelrolle bei: Gregor Bloéb. (Als Intendant des Theatersommers Haag hat er das Werk in Auftrag gegeben.) Hier wird seine Stärke, die Darstellung von Lebenslust, auch zum Gewinn für eine frische Interpretation. Er spielt Jägerstätter nicht als entrückten Fanatiker, sondern als kernige Natur, die durch Nachdenken zum richtigen Schluss kommt – dass er nicht einem verbrecherischen Regime dienen will, selbst wenn all die Mitmenschen, die mitmachen, sich arrangieren oder wegducken, ihn von dieser konsequenten Entscheidung abbringen wollen.

Erst aber ist der Titelheld ein Motorrad fahrender Draufgänger, er rauft im Wirtshaus, bleibt dennoch immer ehrlich und direkt. Franz hat eine Stallmagd geschwängert und würde sie auch heiraten. Seine Mutter (Elfriede Schüsseleder) verhindert das – eine verhärmte Frau, die den Sohn über alles liebt. Gespielt wird diese Vorgeschichte, so wie das ganze Stück, in einer Art Bauernstube: alles in Holz, üppig mit Geweihen ausstaffiert. Mittels roher Tische, Sessel und einfacher Requisiten verwandelt sich dieses Bühnenbild (Miriam Busch) von der Stube ins Wirtshaus, in eine Fabrik, ein bischöfliches Palais, Baracken und Gefängnisse.

Geradeheraus ist dieser Franz in jeder Umgebung, ob er nun bewegend um seine Zukünftige wirbt, die Konfrontation bei Hitlers Volksabstimmung 1938 sucht oder den Bischof von Linz in der Argumentation über Gut und Böse opportunistisch bis böse aussehen lässt. Aus größtmöglicher Distanz diskutiert dieser Herr mit Jägerstätter, brüllt mit ihm, unterstellt ihm Hoffart und andere unlautere Motive. „Aber ich leb doch so gern!“, lautet dessen entwaffnende Antwort auf den Vorwurf , dass er ein Märtyrer werden wolle.

Am Ende steht er fast allein da, nur seine Franziska sagt nach einem ergreifenden Briefwechsel und einem letzten kurzen Wiedersehen: „Tu, was du musst!“ Das rührt, und als diese starke Frau oben auf einer Galerie Familienfotos aufhängt, kann man im Publikum vereinzelt Schluchzen hören.

Die Mutter hackt inzwischen nebenan schon auf einem Krautkopf herum, wie um zu betonen, dass es nun ans Sterben geht. Das ist etwas forciert, so wie die Szene, in der sich Jägerstätter ein blutiges Kreuz in den Oberkörper ritzt – aber es wirkt. Zuweilen gibt es eben ein Übermaß an Didaktik, etwa wenn ein Oberst dem Kriegsdienstverweigerer zu verstehen gibt, dass Offiziere Putschgedanken hegten, oder wenn ein Pflichtverteidiger dem Gefangenen gesteht, dass er nicht nur das Christentum, sondern auch Walhalla für Unsinn halte. Das sind gut gemeinte Elemente eines Lehrstückes, die den Gesamteindruck kaum mindern.

Das Ensemble wird von der Regisseurin geschickt als Gegengewicht zum Helden eingesetzt. Es erzeugt erfindungsreich Klänge – der Hochofen brummt, die Hoftiere rühren sich, die Natur singt. Oft agiert es als Chor, wie in alten Tragödien, um das Ungeheure der Vorgänge zu zeigen, auch nach dem Krieg: wenn der Bischof den Fall am liebsten totschweigen würde, weil sonst heimkehrende Soldaten verstört werden könnten. Oder wenn die Behörden der Witwe die Opferfürsorge verweigern, weil Jägerstätter nicht aktiv gegen die Nazis gekämpft hätte. Im Chor auch ergibt sich eine fantastische Klammer. Die Ehefrau sei schuld am Tod, klagt eingangs die Mutter, sie habe ihren Mann mit ihren Ideen umgebracht. In diese Beschuldigung stimmt bekräftigend der Chor ein. Am Schluss aber wird derselbe Chor demütig deklamieren: „Seliger Franz Jägerstätter, bitte für uns!“

Ein Heimatdichter aus Tirol

Felix Mitterer wurde 1948 in Aachenkirch geboren. Er besuchte die Lehrerbildungsanstalt in Innsbruck und arbeitete dann bis 1977 beim Zollamt Innsbruck. Seither ist er als freier Autor tätig. Neben 42 Theaterstücken hat er auch zahlreiche Drehbücher und Hörspiele verfasst, er trat auch als Schauspieler auf. „Jägerstätter“ wird ab 3.Juli beim Theatersommer Haag gegeben und kommt am 14.September zurück in die Josefstadt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2013)

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