Sarah Viktoria Frick: »Hebbels Text wirkt wie Benzin«

(c) Burgtheater/ Reinhard Werner
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Im Burgtheater spielt Sarah Viktoria Frick die Hauptrolle in »Maria Magdalena«. Was ist der Kern der Tragödie? »Die Ehre«, sagt sie im Interview.

Sie sind die tragische Heldin Klara in diesem Trauerspiel von Friedrich Hebbel. Finden Sie ihn nicht ein bisschen altmodisch?

Sarah Viktoria Frick: Nein. Allerdings haben mich schon viele Leute während der Probenzeit gefragt, ob man dieses Drama heute noch aufführen könne. Ja, kann man, vor allem wenn es Michael Thalheimer inszeniert. Hebbel beschreibt zum Beispiel eindrücklich die Not. Die gibt es doch auch heute. Es geht sehr oft um Geld. Und kennen Sie die Behauptung, dass die Jugend keinen Anstand mehr hat?

Das klingt vertraut. Aber wie kommen Sie mit Hebbels antiquierter Sprache zurecht?

Ich höre sie so nicht. Wir bearbeiten Hebbels Text, als ob er Benzin für den Abend wäre. Jedes Wort ist explosiv. Und in diesem Stück geht es Schlag auf Schlag. Man hat gar keine Zeit für längere Reflexionen, für Trauer.

Finden Sie bei diesem strengen Handwerksmeister Anton auch liebenswerte Züge?

Er ist Klaras Vater und hat ihr einen Plan mitgegeben, wie sie zu leben hat. Wenn sie sich daran hielte, ginge auch nichts schief. Sie muss viel Verantwortung übernehmen für den „Fehler“. Klara hat auch den Draht zu Gott. Das hat sie definitiv von der Mutter.

Was sagt Ihnen dieser Frauentyp noch?

Es wäre ein Verrat, wenn man sie platt ins Heute übertragen würde, wenn die Frauen zum Beispiel Kopftücher tragen müssten, nur damit man die Unterdrückung erkennen kann. Wir versuchen, den Kern des Stückes heraus zu schnitzen, um was es sich in diesem Dorf, in dieser Familie dreht. Darüber sollte der Zuschauer zu einer Aktualisierung finden.

Was also ist der Kern von „Maria Magdalena“, von Klara, die vom Verlobten verlassen wird und Selbstmord begeht, weil sie ein uneheliches Kind bekommt?

 Die Ehre. Die Geschichte spielt in einem Dorf. Jeder weiß von jedem – alles. Aber die Ehre darf man nicht verlieren, die muss man unbedingt retten.

Sie kommen selbst vom Land, aus Liechtenstein. Wäre dort ein Schicksal wie das von Klara noch ein Problem?

Ich kenne noch die Generation von Frauen, die schief angesehen wurden, weil das Kind keinen offiziellen Vater hatte. Mein Großvater hat mir kurz vor seinem Tod gesagt, ich könne alles machen, nur meine Ehre dürfe ich nicht verlieren. Die kann man sich nicht mehr zurückholen. Damit hat er nicht eine Schwangerschaft gemeint, sondern, dass man sich im Spiegel anschauen kann. Betrachten wir das als eine Frage der Erziehung und gehen davon aus, dass sie bei Hebbel vor 160 Jahren viel stärker ausgeprägt war.

Leben wir heutzutage also im Vergleich in einer ehrlosen Gesellschaft? Gibt es mehr von der Sorte des Verlobten Leonhard, die keine Verantwortung übernehmen?

Ich glaube, das hat sich nichts geändert. Heute geben die Leonhards ihren Opportunismus nur ganz offen zu. Jetzt ist es einfach geil, gewissenlos zu sein.

Sie geben Ihren Figuren meist noch eine eigene, unverwechselbare Nuance. Ist das diesmal bei Klara überhaupt nötig?

Ich weiß nicht genau, was Sie damit meinen, ich sehe einfach nie gerne nur das Opfer. Diesmal aber weiß ich tatsächlich nicht, ob ich mich festlegen soll oder ganz einfach mutig bleibe und sie als jene Figur zeichne, die erst einmal nur reagiert, während alle anderen zu ihr kommen und Probleme bei ihr abladen. Sie will geliebt werden, sie will alles richtig machen. Das wurde ihr von Vater und Mutter in die Wiege gelegt. Ein Ausbrechen ist für sie nicht denkbar. Sie geht den ehrbaren Weg, den ihr Vater für sie geplant hat. Ihre Klarheit ist ihre Stärke. Vielleicht ist sie gerade deshalb doch kein Opfer.

Gibt es Momente, wo diese Klarheit am stärksten und wie von selbst, ohne Sprache zum Ausdruck kommt?

In einer Szene steht sie in diesem sehr engen Haus ihrer Familie. Alles andere ereignet sich meist davor. Der Vater hat dieses Haus gebaut, Klara lebt dieses enge Leben. Es ist nichts drin. Man kann sich nirgends festhalten. Und wenn dann dieses Haus wegen des angeblichen Diebstahls durchsucht wird, ist das ein derart drastischer Eingriff in die Privatsphäre, dass man gar keinen Text dazu brauchte.

Sie sind trotz Ihrer Jugend inzwischen in der fünften Saison am Burgtheater. Fühlen Sie sich bereits etabliert?

Ich fühle mich immer noch ein bisschen neu und trotzdem zu Hause. Selbst wenn jetzt eine Wolke über dem Haus schwebt. Obwohl es so groß ist, macht das Ensemble das Leben familiär. Ans Burgtheater kommen erstklassige Regisseure – ein Glück für uns.

Wer sind für Sie die Erstklassigen?

Ich habe wahnsinniges Glück gehabt mit David Bösch und Michael Thalheimer. Die sind zwar sehr unterschiedlich, der eine arbeitet mehr mit dem Körper, der andere mehr mit dem Kopf, dem Text, sie haben aber beide Herzblut fürs Theater. Das Beste für einen Schauspieler ist, einen Regisseur zu haben, der weiß, was er will. Er muss nicht auf alles eine Antwort haben, aber ich will bei der Zusammenarbeit spüren, warum er oder sie Theater macht.

Welchen Teil der Arbeit schätzen Sie am meisten? Welchen nicht?

Die Leseprobe ist wahrscheinlich nicht mein bester Beitrag. Da komme ich mir immer wie am ersten Schultag vor. Ich kann mich anpassen. Ich schaue erst mal, später schaue ich, wo ich bleibe.

Haben Sie Angst vor Auftritten?

Der Kasten hier ist schon sehr groß. Ich sage mir immer wieder, dass ich auf diese Angst keine Lust habe. Das Bühnendeutsch ist halt nicht meine Muttersprache. Ich achte einfach darauf, keine Angst vor dem Text zu bekommen. Aber das kann man auch positiv auslegen. Zu viel Sicherheit würde doch hohl wirken. Ganz anders ist es bei mir mit dem Körper beim Spiel. Da habe ich keine Angst, der ist mir vertraut.

Welche Wünsche haben Sie für die Bühne? Noch einmal Bertolt Brecht?

Den würde ich mir nie selber aussuchen. Auf die Alten kann man an sich vertrauen, da ist immer Gutes drin. Schiller mit seinen starken Frauenrollen, Büchner! Ich hätte jetzt aber so gerne einmal ein richtiges „Stolperstück“, ich meine wirklich mit Stolpern auf der Bühne. Eine Komödie halt. Von den neueren Autoren mag ich Franz Xaver Kroetz einfach gern.

Der muss doch stolz auf Ihre Leistung hier in Wien in „Stallerhof“ gewesen sein.

Er war auf den ganzen Abend stolz und vor allem auch auf sich. Als wir ihn fragten, ob es ihn störte, dass es auch Passagen gab, die nicht von ihm waren, erwiderte er: „Nein, ich möchte alles geschrieben haben, auch das, was ich nicht geschrieben habe.“

Werden wir wegen des ernsten Herrn Hebbel wieder artig und schließen seriös. Wen möchten Sie von hier aus grüßen lassen?

Ich grüße meinen Mann, Martin Vischer, meinen Sohn, meine Mutter, meine Großmutter, ich grüße den ganzen großen Rest meiner Familie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2014)

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