Berührender Dialog mit der betenden Jenůfa

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Peter Konwitschny inszeniert Leos Janáčeks "Jenůfa" - und findet nach der ersten Pause poetische Bilder.

Peter Konwitschny lässt nicht locker: Auch in seiner 13. Grazer Inszenierung zieht er mit wetterfestem Elan gegen das seiner Meinung nach so zeitlose wie epochentypische Amalgam von „Doppelmoral, körper- und frauenfeindlichem System der katholischen Kirche und unserer destruktiven Zivilisation“ zu Felde. Als Folie für diese wunderlich gnostische Weltsicht dient im aktuellen Fall die „Jenůfa“ von Leoš Janáček, am Grazer Opernhaus diesmal unverständlicherweise auf Tschechisch gesungen statt in der bewährten deutschsprachigen Max-Brod-Nachdichtung, was Konwitschny in einem Zeitungsinterview zwar beklagte, im Programmheft jedoch bündig begründet...

Eine schlechte Ausgangsposition für eine differenzierte Werkdeutung also, und bereits im ersten Akt bestätigten sich die schlimmsten Vorahnungen, denn die mährische Dorfgemeinschaft wird hier nach allen Regeln sozialkritisch-emanzipatorischer Moralin-Mief-Moderne vorgeführt: Watschen hauen, Popscherl wackeln, Gruppensex, entfesselte Saufgelage – da ist er wieder, der „schonungslose“ Kolchosenrealismus aus ästhetisch längst verweht geglaubten Zeiten.

Nach der Pause zeigte sich jedoch ein völlig anderes Bild. Erst jetzt wurde Konwitschnys sensible Zuneigung zu den Personen spürbar, in perfekter Personenführung und genial-abstrakter Dramaturgie entstand – ja erblühte ein ganz großes, berührendes Bild, wenn nämlich die Sologeige als eine leibhafte Violinistin auf der Bühne erscheint und ihr Spiel zu einem verinnerlichten Dialog mit der betenden Jenůfa verschmilzt. Da kommt so etwas wie Schönheit ins Spiel, auch Respekt und Geschmack, hier springt jäh ein Fenster in die Ewigkeit auf. In jeder Weise stimmig, wenn auch empfindlich gestört durch eine überflüssige zweite Pause, ist der Schlussakt in atemlos-dramatischer Zuspitzung, besonders gelungen schließlich die allerletzte Szene, die Konwitschny zu Recht nicht als Happy End deutet, sondern als eine hoffnungsvoll-utopische Vision.

Dirk Kaftan am Pult des Grazer Philharmonischen Orchesters neigt einmal mehr zu nervös-flackernden, hektisch-überdrehten Tempi, schleudert das Blech, vor allem die Trompeten, als gellend laute akustische Wurfgeschosse aus dem Graben heraus, eliminiert jedes mährisch-slowakische Idiom aus dem Fluss der Musik, erreicht aber an zwei Stellen dennoch erlösend-entspannte, meditative Ruhe, nämlich in der Szene zwischen der Küsterin und Jenůfa am Beginn des zweiten Akts und eben im so herausragenden Bühnenduett zwischen der Violine und Jenůfa.Gal James verleiht dieser ihren warm leuchtenden Sopran, voll von lyrisch-süßer, genuin weiblicher Verführungskraft, sie bleibt auch in den verletzt-dramatischen Passagen überzeugend tragfähig, da fallen manche schauspielerischen Defizite nicht ins Gewicht.

Meisterleistung: Iris Vermillion

Iris Vermillion als greise Küsterin bietet hingegen eine darstellerische Meisterleistung, ihre Stimme ist zu panischer Attacke genauso wie zu elegischer Erinnerung fähig, vielleicht in manchen Passagen noch etwas zu jung, um die archaische Gewalt etwa einer Martha Mödl zu erzielen. Der Števa von Taylan Reinhard vermag, wohl auch durch seine Zeichnung als trinkender Weichling durch die Regie, trotz seines sympathischen Tenors kaum zu vermitteln, wie er mit Jenůfa ein Kind zu zeugen vermochte. Aleš Briscein als viriler und gleichzeitig hochsensibler Laca ist der einzige (!) tschechische Native Speaker dieser Produktion, die, um Robert Musil zu zitieren, „an einem Sprachfehler zugrunde ging“, und erntet deshalb auch donnernden Applaus für seine idiomatisch souveräne Darstellung dieser mährischen Bauernfigur. Schließlich einhelliger, lebhafter Beifall.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2014)

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