Pippis vergessene österreichische Schwester

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Sie wäre wie Lindgren heuer 100, ihre „Vevi“ galt als „Revolution im Kinderbuch“: Erica Lillegg.

„Eine außergewöhnliche Erzählung über eine Persönlichkeitsspaltung, rätselhaft, aufregend, sogar tiefgründig“, liest man in der Encyclopaedia Britannica über die fantastische Kindergeschichte „Vevi“. Sie handelt von einer vorpubertären Halbwaisen, die sich mithilfe einer Zauberwurzel verdoppelt und auf einer Kanonenkugel nach Paris fliegt, um der Schule zu entgehen und ihre Mutter zu suchen. Ihr Alter Ego mutiert derweil in Wien zum bösen, Gräueltaten verrichtenden Mädchen, bis die „echte“ Vevi zurückkommt und ihr das Handwerk legt.

Österreich feiere Lindgrens Hunderter, an den Hunderter der Österreicherin Erica Lillegg denke keiner, beklagt der Wiener Kinderbuchforscher Ernst Seibert. „In den 50ern und 60ern haben einige Autoren wie Lindgren ein neues Kindheitsbild entwickelt. In Österreich war das Erica Lillegg.“ Ihre 1956 erschienene Geschichte „Vevi“ wurde einst als kleine Revolution gerühmt, als erste genuin deutschsprachige fantastische Kindererzählung, Seibert sieht Lillegg auf einer Stufe mit „Räuber Hotzenplotz“-Autor Otfried Preußler („aber noch interessanter“), Christine Nöstlinger, Mira Lobe, Käthe Recheis.Warum wurde gerade Lillegg ganz vergessen? „Sie ging bald nach Paris und wurde schon zu Lebzeiten als deutsche Autorin zitiert, nur weil sie in Hamburg verlegt wurde“, erzählt Seibert. Auch war Lillegg keine typische Kinderbuchautorin, sie verkehrte im Kreis der Wiener „Phantastischen Realisten“ (ihr Mann Edgar Jené hatte den Surrealismus aus Paris „importiert“), war mit Paul Celan befreundet. Erst kürzlich enthüllte der Nachlass ihr wahres Geburtsdatum 1907 (statt 1910).

Raffinierte Konfrontation mit dem Irrealen

„Lillegg zeigt wie Lindgren das Kind als selbst verantwortliches Wesen, das eine von den Erwachsenen isolierte Welt hat und sich allein dem Leben stellen muss“, erzählt Seibert. Neu an „Vevi“ sei aber die durchdachte Konfrontation von real und irreal. „Wenn Pippi ein Pferd stemmt, ist das nicht so aufregend. Bei Lillegg sind die Bereiche streng getrennt, nur Vevi nimmt das Irrationale wahr und muss es verbergen.“ Besonders sei auch die österreichische Note: „Raimund, Herzmanovsky und Meyrink lassen grüßen.“ Seibert drängt auf eine Neuauflage. sim

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2007)

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