Das Zeichen der Zauderer

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Der Strichpunkt stirbt aus!, tönt es aus Frankreich. Ist das Semikolon von der Diktatur des Kurzsatzes bedroht? Für und wider das feinste aller Satzzeichen.

Ist der Strichpunkt, dieses chimärenartig zwischen Punkt und Komma schillernde Wesen, durch die Diktatur des Kurzsatzes, die sprachliche Verkümmerung vom Aussterben bedroht? Als Autor das Semikolon zu verschmähen zeuge von einem geistigen Defekt, erklärte Bernhard Shaw dem Autor T.E. Lawrence; der schrieb ganz strichpunktfrei, das Lagerleben habe seinen Stil verdorben, vermutete Shaw. Auch der französische Schriftsteller Henry de Montherlant notiert in seinem Tagebuch, einen Mann von Urteil erkenne man an seinem Gebrauch des Strichpunkts.

Frankreich hat nun auch das Verdienst, diesem vernachlässigten Satzzeichen unter leicht humoristischen Vorzeichen Gehör verschafft zu haben. In den vergangenen Wochen wurde in Medien und Internet, ja sogar in einer Radiodiskussion heftig für und wider das Semikolon gestritten. Eine solche Debatte könne nur in einem Land stattfinden, wo Intellektuelle den Status von Fußballstars hätten, spottete die britische Zeitung „The Guardian“. Tatsächlich wurde in der Geschichte menschlicher Schrift und selbst bei den von ihrer berühmten „Académie“ stets zur Sprachpflege ermahnten Franzosen selten einem Satzzeichen die Ehre öffentlicher Auseinandersetzung zuteil; Auslöser waren ein Buch über die Kunst der Interpunktion (deren Autoren behaupten, das Semikolon sterbe aus, es sei zu subtil, zu schwierig für heutige Durchschnittsmenschen) – und ein daraufhin im Internet erschienenes ominöses „Komitee zur Verteidigung des Strichpunkts“. Satiriker François Cavanna nannte das Semikolon daraufhin einen „ängstlichen Parasiten“, und der bekannte Schriftsteller Philippe Dijan deklarierte, nichts täte er lieber, denn als „Todesengel des Semikolons“ in die Geschichte einzugehen.

Die Kunst innezuhalten, ohne aufzuhören

Alles nicht so ernst gemeint, aber Scherz beiseite – warum sollte man sich nicht einmal dieses wunderbar paradoxen Zeichens erinnern, das aufs Komma den Punkt türmt, aber dadurch nicht Komma plus Punkt, sondern, wenn schon, Punkt minus Komma wird? Die Griechen verwendeten es als Frage-, das Mittelalter als Abkürzungszeichen; erst der venezianische Verleger Aldus Manutius führte es im 15.Jahrhundert ein, um getrennte Aussagen innerhalb eines Satzes zu verbinden. „Er war, mit seinen kurzen siebenzig Jahren, der Mode seiner Jugend nicht untreu geworden; nur auf den Tressenbesatz zwischen den Knöpfen und den großen Taschen hatte er verzichtet, aber niemals im Leben hatte er lange Beinkleider getragen“ – für Thomas Mann gilt: keine Seite ohne Semikolon. Daniel Kehlmann, ein Klassiker von heute, setzt es sparsam, aber stetig; für manche ist das Semikolon aber nicht nur ein Mittel differenzierter Gliederung, sondern geradezu eine geistige Haltung – die Zuflucht aller, denen das allzu Definitive widerstrebt.

Und die „Presse“? In einem Exemplar aus den 30er-Jahren fand der Strichpunkt noch in einigen Feuilletonstückerln Unterschlupf oder im Beamtenjargon einer „Verordnung über allgemeine Preissenkungen“. Aber jetzt? Ein Jammer, in einer ganzen Ausgabe fand sich kein einziger; selbst das Feuilleton hat ihn im Stich gelassen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Strichpunkt-Freunde unter den Lesern es halten wie US-Autor Jonathan Franzen: „Ich erinnere mich nicht, jemals ein Buch in die Ecke geschmissen zu haben, weil es semikolonfrei war.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2008)

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