Maria Bill macht die »Sieben Todsünden« zum Triumph

(c) APA/ROLAND SCHLAGER
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Fast schon ein Abschied vom Volkstheater: Eine Diva singt souverän Lieder von Kurt Weill, Direktor Michael Schottenberg führt Regie.

Sie schwebt weiß geschminkt auf die dunkle Bühne, im langen schwarzen Kleid, unter dem sich Kothurne verbergen, spielt mit der Boa aus weißem Tüll. Riesig prangt hinten auf dem Vorhang „WEILL“, oft dazu noch „BRECHT“. Michael Hornek schlägt den ersten Ton auf dem Flügel an. Die nächsten 75 Minuten auf der Bühne des Wiener Volkstheaters gehören Maria Bill, trotz mächtiger Begleitung der „Sieben Todsünden“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill durch das flotte Orchester der Vereinigten Bühnen Wien unter Milan Turković, trotz des kräftigen Männergesangs (Ivaylo Guberov, Martin Mairinger, Johannes Schwendinger und Wilhelm Spuller).

Regisseur Michael Schottenberg hat in seiner abschließenden zehnten Saison als Direktor seine Exfrau in deren letzter Premiere raffiniert in den Mittelpunkt gestellt – so zerbrechlich und im Kern doch hart wirkt sie – nah und zugleich distanziert, voll Feuer und höllischer Kälte. Dieser kurze Abend ist ein Triumph für die Bill, die als eine kleine, strafende, begeisterte Prophetin andeutet, dass Brechts angriffslustiges Theater in der Gesellschaftskritik doch auch recht gehabt haben könnte.

Der Weill-Abend beginnt sozusagen zur Einstimmung mit neun auf dem Klavier begleiteten Liedern. Die Diva gibt tief und voll Timbre nicht nur Hits aus Brechts „Dreigroschenoper“ zum Besten, wie „Die Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ oder „Die Zuhälterballade“, sondern auch amerikanische Songs (Ogden Nash) und französische (Maurice Magre, Roger Fernay), die Weill vertont hat. Maria Bill ist in ihrem Element – eine Perfektionistin, die das Gebotene mit kleinen Gesten unterstreicht. Wenn es in „Die Seeräuber-Jenny“ ans Morden geht und sie beim Köpfen „Hoppla!“ sagt, ist das an Sarkasmus kaum zu überbieten.

Und schon ist man beim Thema der totalen Unterdrückung. Der Vorhang geht hoch, das Orchester setzt für die „Todsünden“ ein, die letzte Zusammenarbeit zweier Genies. Weill sprach damals über Brecht nur mehr als „das Schwein“, dieser war wegen seines Nierenleidens bettlägrig, als er den Text zu diesem Ballett schrieb, das im Juni 1933 in Paris uraufgeführt wurde. Es gilt als Nebenwerk, Brecht beschäftigte sich später nicht mehr mit dieser Geschichte einer gespaltenen Persönlichkeit: Anna I und II (Geschäftsfrau und Künstlerin?) werden von ihrer Familie durch Großstädte der USA geschickt, damit sie ihr ein Häuschen am Mississippi verdienen. Stets kämpfen sie gegen Faulheit, Stolz, Zorn, Völlerei, Unzucht, Habsucht und Neid an, die unter gewissen Marktbedingungen zu Tugenden werden.

Schrill legt Maria Bill diese schizophrene Rolle an. Unter der Robe steckt ein Hauskleid, darunter eine den Eros tötende Unterwäsche. Einmal dient ihr sogar ein Koffer als Gewand. Die Sängerin lotet diese Geisterbahnfahrt einer Ausgebeuteten in allen Höhen und Tiefen aus, sie zeigt uns die Fratzen moderner Perversion. Dahinter aber erahnt man ein zartes Mädchen, das weint. Die Premiere am Freitag endete mit lang anhaltendem, begeistertem Applaus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2014)

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