Salzburger Festspiele: Chemische Liebe und die Angelina Jolie der Oper

Die georgische Sängerin Nino Machaidze sang Juliettes Arie.
Die georgische Sängerin Nino Machaidze sang Juliettes Arie.(c) APA (Franz Neumayr)
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Elke Heidenreich überforderte bei ihrer Rede zur Festspieleröffnung Kunst und Zeit. Und ein neuer Star was born: die georgische Sängerin Nino Machaidze sang Juliettes Arie.

„Tiefer hängen“ forderte der populärste deutsche Kunsttheoretiker Wolfgang Ullrich in seinem gleichnamigen Buch polemisch. Gerade in einem Abrüsten der seiner Meinung nach allzu hohen Erwartungen an die Kunst sieht er deren Chance für ein Weiterleben nach ihrem oft proklamierten Ende. „Tiefer tönen“ hätte man am Samstag gerne Elke Heidenreich, der populärsten deutschen Literaturvermittlerin, zugerufen. Ihre vielversprechend flott beginnende Rede zur Eröffnung der 88. Salzburger Festspiele versandete in Pathos und Klischees.

Zunächst aber zeigte sie sich angenehm „skeptisch“ gegenüber dem Festspiel-Motto „Denn stark wie die Liebe ist der Tod“. Erstere, so Heidenreich, werde heute maßlos überfordert: „Es mangelt nicht an Liebe in der Welt, es mangelt eher an erträglichen Erwartungen in die Liebe.“ Und außerdem sei die Liebe nur ein „biochemischer Prozess“. Zur endgültigen Verstörung feinsinniger Kulturgeister zauberte Heidenreich sogar noch die passend sperrige Formel für „die Substanz, die das Liebessyndrom im Hirn auslöst“, aus dem Hut: „C6H5 (NH2) CH3.“ Was zumindest den feinsinnigen Chemikern unter den Kulturgeistern einen kleinen ungläubigen Liebestod bescherte.

Dass auch der Tod ein „biochemischer Vorgang“ ist, wird wohl unbestrittener bleiben (zumindest von der Naturwissenschaft). Er jedenfalls gewinnt gegen die Liebe, er ist stärker, er ist das Ende. Warum denn auch immer nachher noch etwas kommen müsse? So weit, so launig. Doch dann folgte ein viel zu langes Hohelied auf die hehre Kunst, die stärker sei als alles andere, für die es eben keine chemische Formel gebe, der wir als einzige vertrauen könnten (wenn sie uns nicht gerade täuschen will), die unsere Wunden heile, unsere Retterin sei, unsere Nahrung. Von den feuchten Augen der „Pretty Woman“ bei „La Traviata“ aufwärts strapazierte Heidenreich alle Klischees und endete mit einem Zitat des Autors Tomi Ungerer, das vor diesem Hintergrund ein wenig fragwürdig erscheint: „Das Gerippe mit der Sense ist nur ein melancholischer alter Zollbeamter, ein Grenzwächter zwischen Hier und Dort, und Schönheit kann ihn erweichen.“

Symbolisch statt tatsächlich

Nicht erweichen ließen sich die Politiker in ihren Reden zu Ehren der Künste. Wäre der hohe Stellenwert, den Landeshauptfrau Gabi Burgstaller und Ministerin Claudia Schmied der Kunst und Kultur, dem respektvollen Umgang miteinander, der „Würde“ ihres Amtes und der Abwehr des „platten Materialismus“ und der „Vergötzung des Profit“ (Burgstaller) einräumten, tatsächlich ein tatsächlicher, nicht nur ein sprichwörtlicher, würden die Politik, die Stundenpläne der Schulen, die Kulturbudgets und das Marketing der „Sportstadt“ Salzburg anders aussehen.

Dagegen wirkte Bundespräsident Heinz Fischer fast barbarisch, als er EU-Vater Robert Schuman widersprach, der gesagt haben soll, er würde das europäische Einigungswerk bei einem neuen Anlauf nicht mit der Ökonomie, sondern mit der Kultur beginnen. Ohne Friede und wirtschaftliche Basis, so Fischer, keine blühende gemeinsame Kultur.

Da schämte man sich plötzlich nicht mehr so sehr, dass man während des ersten Show-Auftritts des augenscheinlich neuen Opernstars der Festspiele, der georgischen Sängerin Nino Machaidze („Romeo & Juliette“), nicht auf Gounods-Klängen gen Nirwana entschwebte, sondern an Angelina Jolie dachte, puren Sex und die Brutalität von Markt und Natur dachte. Anna Netrebko, für die Machaidze als „Juliette“ einsprang, wird sich warm anziehen können, wenn sie nach der Babypause wieder einsteigen will.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2008)

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