Miss Universe der Kunst – oder belanglos?

(c) Krinzinger
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Was ist gute Kunst? Die Antwort ist heute schwieriger denn je. Die „Presse“ befragte Experten zu einem Fallbeispiel: Zenita Komad.

Abstrakt oder gegenständlich, politisch oder nicht, Malerei oder Performance: Früher schien es einfacher, über bildende Kunst scharfe Urteile zu fällen. Aber seit alles schon einmal da war und alles wieder möglich ist, ist die Zeit der „Kritiker-Päpste“ vorbei. Was ein Gutes hat – wer will schon Geschmacksdiktatur? – und ein Schlechtes: frustrierende Verunsicherung. Trotzdem reden alle mit über zeitgenössische Kunst, glaubt jeder zu wissen, was gut ist und was schlecht. So haben sich eigenartige Parallelwelten entwickelt, in denen verschiedene Haltungen, Stile und Genres, vom Blumenaquarell über expressive Großmalerei, von Moderne-Reflexion zur Spektakelkunst, unbeeindruckt nebeneinander gefeiert werden. Warum soll es in der Kunst auch anders sein als anderswo: Wir werden immer individueller. Und der Markt immer stärker.

Die „Presse“ bittet hier bereits zum zweiten Mal Experten um ein Urteil über einen jungen Künstler bzw. eine junge Künstlerin. Um unterschiedliche Zugänge zu zeigen. Vor allem aber, um Lust auf Auseinandersetzung mit der Kunst unserer Zeit zu machen.


Stella Rollig, Direktorin Lentos Linz

„Zenita Komad ist das It-Girl der jungen österreichischen Kunst. Nein, das soll keine Beleidigung sein. Sie ist attraktiv und präsent wie die juvenilen Stars der Glanzgazetten. Aber sie ist auch talentiert, intelligent, bestens vernetzt dazu. Mit 16 ist sie auf der Angewandten, später studiert sie bei Franz Graf. Ignaz Kirchner gewinnt sie als Mitwirkenden ihrer Inszenierungen, die Eröffnungsrede ihrer Ausstellung hält Peter Gorsen, Doyen der psychoanalytisch fundierten österreichischen Kunstgeschichte. Doch die Künstlerin verlässt sich nicht auf ihre zahlreichen, meist männlichen, Mentoren. Selbst ist die Frau! Also schafft sie nicht nur ein Werk, sondern eine Marke: Was als Zenita City begann, heißt heute Zenita Universe, umfasst Malerei, Objekte, Installationen, Filme, Live-Aufführungen. Miss Universe der Kunst mit 28 Jahren?

In Zenitas Teiluniversum in der Galerie Krinzinger sind wir mit Gulliver bei den Riesen gelandet. Als KunstkritikerInnen denken wir aber nicht an Jonathan Swift, sondern an Claes Oldenburg. Die Formfindung der bunten Soft Sculptures greift sie auf, Alltagsgegenstände für Riesinnen. Jeff Koons liegt nahe, doch er wird übersprungen beim Rückgriff in die Kunstgeschichte, zu perfekt, zu geschleckt. Komad ist Handwerkerin. Kraftvoll, raumeinnehmend. Das sieht gut aus, doch dazu macht der dräuende Subtext die Arbeit stark und beunruhigend. Anpassung und Fremdbestimmtheit sind die Themen, die über Objekte wie Kleidung, Kosmetika, Waschmaschine, Handy, Rechner und Würfel ins Spiel gebracht werden. Textfragmente zitieren literarische und philosophische Quellen. Und das Kunstmachen selbst wird kommentiert: selbstbewusste X-Large Malerei, hingeklotzt mit frecher Geste. Pop Art und Body Art, Feminismus – alles bekannt, doch alles ist neu formuliert und sitzt goldrichtig im Hier und Jetzt. Universal Zenita: Sie wird einmal eine große alte Dame der Kunst, glaube ich, wie Louise Bourgeois, wie Yayoi Kusama. Hoffentlich glücklicher!“


Thomas Zaunschirm, Kunsthistoriker

„Wenn kleine Mädchen erwachsen spielen, ziehen sie Kleider, Hüte, Schuhe ihrer Mütter an und schminken sich. Den Kindern steht die Welt noch offen, sie halten den Kosmos in ihren Händen. Wenn sie irgendwann erwachsen geworden sind, verlieren sich im Ernst des Lebens ihre polymorph-potenten Träume. Allerdings bewahren sich Künstler ihre kindliche Freiheit und zeigen offen, dass ihnen die Kleider noch immer zu groß sind. Zenita Komad ist immer unterwegs zu neuen Gestaden, sie wechselt ihre Strategien von Ausstellung zu Ausstellung und ergründet neue Aspekte ihres Schaffens. Sie bewegt sich rasch und polyglott. Ihr Erfolg ist kaum aufzuhalten. Immer am Zenit – eben noch mit wurzelnden Nabelschnüren und Sprachbildern befasst, springt sie in ihre eigene Konsumwelt à la Sylvie Fleury. Man weiß nie, wann sie bei sich selbst angekommen sein wird. Es scheint, als habe sie es wieder nicht geschafft.

Aus der Galerie Krinzinger macht sie einen Kleiderschrank und einen Umkleideraum, wo sie ihre Erinnerungen ausbreitet. Doch sie passt nicht mehr in ihr Kindchenschema, ihre Gewänder und an Claes Oldenburg erinnernden Utensilien sind zu groß. Wie man an den riesenhaften am Boden liegenden Ausweisen sehen kann, ist sie älter geworden, wenn auch nicht erwachsen. Das versprochene, aus Zenita-City sich entwickelnde Zenita-Universum bleibt vorerst ein uneingelöstes Versprechen, sympathisch und belanglos. Auf einer Bildtafel wiederholt sie wie in der Schule: ,Ich darf nicht schlimm sein! Ich darf nicht garstig sein!‘ Doch, kleines Mädchen, als braves Kind kommt man vielleicht in den Himmel, als Künstlerin aber sollte man sich etwas mehr trauen.“
Ingried Brugger, Leiterin BA-Kunstforum

„Es sind Bühnen, die sich Zenita Komad in der Galerie Krinzinger schafft, eingerichtet zum Zweck eines Selbstauftritts, der mich unumgänglich zur Frage führt: Mag ich das? Denn Zenitas Anspruch ist ein zwar ungezwungen erscheinender, jedoch durchaus usurpatorischer Zugriff auf all jene Teile der Welt, die ihr maßgeblich erscheinen. In Zenitas Universe ist die Künstlerin die Strategin, die sich vorgegebener künstlerischer Attitüden ebenso selbstverständlich bedient, wie sie die Klaviatur szenischer Vernetzung beherrscht. Und letztendlich wird dann auch die Kunstgeschichte zum Selbstbedienungsladen, aus dem unverfroren Dinge entnommen, abgeändert und neu gemischt werden: Requisiten einer bildlichen Darstellung von Zenitas Universe. Das alles geschieht mit einem Selbstbewusstsein, das so fasziniert wie irritiert, das anzieht und abstößt. Das ist das eine! Doch da ist mehr, viel mehr. Hinter der vermeintlichen Flachheit eines solchen Konzepts und dem Déjà-vu-Erlebnis (das sich unausweichlich einstellt) lauert eine komplizierte künstlerische Selbstentäußerung, der auf den Grund zu gehen lohnt. Geheime Botschaften, bildliche Anspielungen, gesellschaftspolitische Sticheleien und immer wieder der Versuch, die eigene Psyche neu zu ordnen und kommunikationsfähig zu machen: Das sind nur einige der Dinge, die in Zenitas Universe – ausgestattet mit pointierter Intelligenz – Hand in Hand gehen auf einem Weg, der einem die Welt durchaus neu erscheinen lässt. Das passiert einem nicht alle Tage und bringt mich zur Entscheidung: Ja, ich mag Zenitas Universe.“

Wolfgang Zinggl, Künstler, Kultursprecher der Grünen, Mumok-Kuratoriumsvorsitzender

„Was bringt der Kunsttitel? Er lässt sich ohnehin je nach Kollektiv und Laune vergeben, hat keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, provoziert bestenfalls jene charakteristischen Kunsterlebnisse, die sich ohne Ankündigung ,Achtung Kunst‘ nicht einstellen. Eigentlich (und weil es auch möglich ist, an Dingen außerhalb der Kunst Erkenntnis oder Gefallen zu finden) ist die Frage, ob es sich bei Objekten, die als Kunst präsentiert werden, um gute Kunst handelt, sekundär.

Freilich: Die applizierten Bekleidungsformen von Zenita Komad wären einer akademischen Kunstkritik gut zugänglich. Sie kündigen sich schon allein durch Anschauung als Kunst an, sind sehr professionell aufbereitet und beweisen historische Kontinuität. Ähnlichkeiten zu Kunstrichtungen, die eine Zuordnung ermöglichen, sind nicht unwichtig für die Anerkennung durch eine kulturelle Öffentlichkeit. Komads Arbeiten lassen eine deutliche Nähe zu den 60er-Jahren erkennen, allen voran zu den textilen Verschmelzungen von Bild und Plastik in Franz Erhard Walthers ,1.Werksatz‘ und zu Claes Oldenburgs Pop-Art. Die Frage, ob sich die Arbeitsproben von Komad zum Kunstbereich rechnen lassen, ist also leicht zu beantworten.

Für eine differenziertere Beurteilung freilich müsste Komads gesamter ,Kunstentwurf‘ ins Visier genommen werden. Erst die Kenntnis ihrer Absichten lässt diese und ihre Einlösung beurteilen. Der Wert von Objekten, abgeleitet aus der Anschauung allein, ist vom Wert beliebiger Dinge außerhalb der Kunst nicht zu unterscheiden.“

ZUR PERSON: ZENITA KOMAD

1980 in Kärnten geboren, ging sie mit 16 nach Wien an die Angewandte, 1998 wechselte sie auf die Akademie in Franz Grafs Klasse.

Mit einem MAK-Schindler-Stipendium war sie 2007 in Los Angeles, 2005 wurde in der Kunsthalle ihre „Schachoper“ aufgeführt, sie drehte mehrere Filme, u.a. mit Ignaz Kirchner. Gerade erschien ihr Buch „Opus IV – Selected Works“ mit einem Essay von Peter Gorsen.

Ausstellung „Zenita Universe“, bis 16.8., Galerie Krinzinger, Seilerstätte 16, Wien 1.
www.zenita-city.at [Komad (li.) mit Susanne Widl, Cafe Korb]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2008)

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