Ignaz Kirchner: „Es gibt das absolut Böse“

Ignaz Kirchner
Ignaz Kirchner(c) Clemens Fabry
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Der Burgschauspieler ist ab heute in Tolstois Drama „Die Macht der Finsternis“ zu sehen. Er redet über Gottes Abwesenheit, über Geldgier, Knechtschaft, aber auch rechtes Handeln.

Die Presse: Sie haben bereits Bühnenerfahrung mit Leo N. Tolstoi, haben in einer Dramatisierung des Romans „Krieg und Frieden“ mitgewirkt. Nun spielen Sie in seinem zügigen Drama „Die Macht der Finsternis“. Ist das vergleichbar?

Ignaz Kirchner: Dieser Fünfakter hat tatsächlich Tempo, es ist ein archaisches Stück, das ganz gut in unsere Zeit passt. Darin geht es vor allem um Geld, in allen Variationen, auch um Aufsteigertum und Mord. Ganz zum Schluss wird das Drama moralisch. Ob es Gott gibt? Das ist die Frage. Die stellt sich jeder irgendwann. Ich finde das sehr aktuell. Wir müssen uns alle besinnen, was wir so machen. Hier bei Tolstoi ruft einer seinen Gott an, der ihm allerdings nicht hilft.

Zuvor gibt es unglaubliche Gewalt, Kindsmord sogar. Ist das schwer zu bewältigen bei dieser Inszenierung?

Man kann das nicht psychologisch spielen, es geht um Archetypen. Die muss man wie einen Holzschnitt präsentieren. Die meisten Figuren in dem Stück haben keine Skrupel. Aber ist das heute bei uns denn anders? Wer hat denn heute noch ein Gewissen? Schauen Sie sich doch einmal die Politik an, denken Sie an die Mafia, die Kinderpornografie. Es gibt das absolut Böse. „Moral, das ist, wenn man moralisch ist“, heißt es in Georg Büchners „Woyzeck“. Es gibt Menschen, die haben so ein Empfinden, und es gibt welche, die haben überhaupt keine Moral.

Im Stück heißt es, eine Sünde ziehe die nächste nach sich. Stimmt das denn, oder ist das nur eine praktische Ausrede?

Es ist bequem, zu behaupten, dass man in Sünden hineinschlittere. Die Bösen sehen sich aber außerdem gar nicht als böse. Denken Sie an den Auschwitz-Prozess. Da gab es doch kein Empfinden von Unrecht. Das ist erschreckend. Es wäre jedoch toll, das wünsche ich mir, wenn durch das Theater die Menschen dazu gebracht würden, darüber nachzudenken, was gut und böse ist.

Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt, heißt es mehrfach bei Tolstois Zeitgenossen Fjodor M. Dostojewski. Was setzt man dem entgegen?

Wie wäre es mit Immanuel Kants Kategorischem Imperativ, der das menschliche Handeln sehr vernünftig erklärt? Sinngemäß sagt er: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Sie spielen in dem Stück den Vater des negativen Helden, sind offenbar ein Guter. Kann man das so schwarzweiß sehen?

Nein, es gibt keine Menschen, die nur gut sind. Auch diesem Vater geht es ums Geld. Und sein Sohn ist vielleicht nicht richtig böse, aber getrieben. Er will hochkommen, sexuell geht er mit Frauen, die sich ebenfalls ungeheuer verhalten, sehr seltsam um. Der Titel „Macht der Finsternis“ sagt schon alles. Vor dieser Macht wird man hilflos. Tolstois Stück erinnert mich in gewisser Art an „Glaube und Heimat“ von Karl Schönherr. Dort kommt Religion aber noch stärker vor.

Woran denken Sie beim Wort Ostern?

Bei Karfreitag, beim Osterfest denke ich an diesen tollen Menschen Jesus, an das, was er uns gepredigt hat. Seine Botschaft im Neuen Testament ist doch ganz wunderbar. Aber es gibt auch das Schweigen Gottes, das bedrückt. Was ist mit Eltern, deren Kinder sterben? Ein befreundetes Ehepaar hat einen Sohn verloren, durch einen herunterfallenden Stein. Er war sofort tot. Das ist Schicksal. Die Familie ist daran zerbrochen.

Sie sind bei Jesuiten zur Schule gegangen. Wie weit hat Sie das geprägt?

Ich persönlich glaube nicht an Gott. Man hat ja die Aufklärung gehabt. Da muss man sich entscheiden. Mit Auferstehung kann ich wenig anfangen. Es gibt diese prägnante Formulierung Fernando Pessoas: „Ob es nun Götter gibt oder nicht, wir sind ihre Knechte.“ Wir sind von irgendetwas abhängig, doch ich kann es mir nicht vorstellen. Wo war denn Gott, als der Holocaust passierte? Je älter ich werde, desto mehr denke ich an den Tod. Ich glaube, dass danach nichts ist.

Denken Sie dabei auch oft an Ihren Kollegen Gert Voss, der im Vorjahr verstorben ist, mit dem Sie auf der Bühne so große Erfolge gefeiert haben?

Öfters. Aber das will ich nicht wahrhaben, als Schauspieler: Wir sind nur lebendig, wenn wir spielen. Zum Bewahren nützt uns auch kein Buch. Diese Bücher landen bald im Abverkauf. Wer kennt von den Jungen heute noch Josef Meinrad, der vor fast 20 Jahren, oder Walter Schmidinger, der vor nicht einmal zwei Jahren gestorben ist? Der Ruhm der Schauspieler ist flüchtig.

Was also ist Ihr Lebensmotto?

Das habe ich vom Philosophen Theodor Lessing: „Was ist der Sinn des Lebens? Die Sinngebung des Sinnlosen.“ Wir werden geboren zum Sterben. Das ist doch eine absolute Unverschämtheit. Aber man sollte dennoch versuchen, ein guter Mensch zu sein. Ich habe das Glück, die Verzweiflung über die Welt im Beruf ausdrücken zu können.

TOLSTOI, BÜCHNER, MUSIL...

„Die Macht der Finsternis“ von Leo N. Tolstoi hat am 2. 4. im Akademietheater Premiere. Regie: Antú Romero Nunes. Weitere Termine: 4., 7., 11. und 23. 4. sowie 4., 17. und 29. 5., jeweils um 19.30 Uhr.

Ignaz Kirchner (*1946 in Wuppertal) ist seit 1987, mit Unterbrechung in den Neunzigerjahren, Ensemblemitglied des Burgtheaters. Kirchner spielt derzeit in „Die Macht der Finsternis“ sowie in „Dantons Tod“, „Der Mann ohne Eigenschaften“, „Cavalcade or Being a holy motor“ und „Die Möwe“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2015)

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