Festwochen-Intendant Bondy: "Dort leben viele Gestrandete"

Luc Bondy
Luc Bondy(c) FABRY Clemens
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Der Festwochen-Intendant, Regisseur und Autor Luc Bondy redet mit der "Presse "über seine späte Sehnsucht, ein richtiger Schriftsteller zu sein. Und er verrät, was er am Theater und am Publikum in Wien schätzt.

Im September veröffentlichen Sie Ihren ersten, leicht autobiografischen Roman...

Luc Bondy: „Am Fenster“ (Zsolnay) ist kein autobiografischer Roman, auch wenn Elemente vorkommen, die so etwas vermuten lassen!

Haben Sie zuweilen ein Gefühl wie manche Figuren bei Anton Tschechow? Das Leben mit Dingen wie Intendanzen oder Regie vertan zu haben, statt sich der Literatur zu widmen?

Das habe ich die ganze Zeit. Ich führe Tagebuch. Unlängst habe ich darin Folgendes geschrieben (holt seinen Laptop, Anm.): „Wenn ich neu beginnen dürfte, mit 50 zusätzlichen Jahren, würde ich gerne ein richtiger Schriftsteller werden. Ich würde die Welt bereisen, wandern, Notizen schreiben, und das Theater wäre die Leidenschaft meiner Jugend geblieben. Oft erkrankte ich, weil ich auf der falschen Spur war.“

Sie waren auf dem Theater ein jugendliches Genie. Kennen Sie diesen Luc Bondy noch?

Nein, nur noch schwer. Dass ich ein Jung-Genie sei, behaupteten die anderen, ich nur ein bisschen. Es lag auch an der Zeit. Wenn ich als Twen Stücke wie Edward Bonds „Die See“ (1973) inszenierte, mit richtigen Stars, dann akzeptierten sie mich, machten das, was ich wollte. Die Theaterarbeit fiel mir leicht. Sie ist aber sehr mit der Zeit verwoben. Signale, die man einst verstanden hat, ändern sich – ich verlange von mir heute trotzdem noch, die Dinge im Zusammenhang mit der Zeit, in der ich lebe, zu verstehen. Das ist schwer!

Wie kamen Sie zum Theater? Ihr Vater war Essayist, Ihr Großvater Schriftsteller...

Und der Urgroßvater war Direktor des Deutschen Theaters in Prag. Bei ihm wurde Schnitzlers „Das weite Land“ parallel zu Wien uraufgeführt. Also ist es wohl mein Beruf. Ich weiß allerdings nicht, ob man nicht auch beim Theater landet, weil man anderswo hilflos ist. Es ist eine großartige Kunstform, aber auch ein Bastard. Dort leben viele Gestrandete. Wie sagte Kortner zu einem Schauspieler? „Sie haben einen Beruf verfehlt.“ Das gilt auch für Regisseure.

Wo haben Sie das Metier gelernt?

An einer Schule in Paris. Nach mir besuchten sie auch Christoph Marthaler, Yasmina Reza, Simon McBurney, wir waren alle an der Ecole von Jaques Lecoq. Der wusste viel über szenische Gesetzmäßigkeiten. Geprägt hat mich auch der Argentinier Jorge Lavelli. Der machte damals „Die Trauung“ von Witold Gombrowicz. Es gab rund um 1968 viele Lateinamerikaner in Paris, etwa den inzwischen verstorbenen Victor Garcia. Er war ein ganz kleiner Mann und ziemlich brutal, wahnsinnig homosexuell, besessen. Ich beteiligte mich an einem Workshop über ein sehr langes Stück von Paul Claudel. Garcia nahm das zum Anlass, 25 Leute inszenieren zu lassen. Da habe ich mitgemacht, ich war 20. Er war so verrückt, ein Komet, der bald verschwand, schlampig und genial zugleich. Das hat mich beeindruckt.

Mit welchen Konsequenzen?

Ich wollte das auch machen, weil ich mich für Rhythmus und Konstellationen interessiere, weniger für die Schauspielerei oder Psychologie, wie man mir blöderweise vorwirft. Die anderen Schüler kamen immer zu mir, damit ich Regie führte. Für das Rollen-Lernen war ich zu faul, ich tat mir auch schwer mit dem Merken des Textes, aber das Arbeiten mit den anderen gefiel mir. Diese argentinische Schule war sehr von Antonin Artaud beeinflusst, das war ungewöhnlich für das Theater in Deutschland. Es war für uns alle neu. Kurz nach 68, als ich nach Deutschland kam, herrschte im Theater eine Suche nach Aufklärung. Durch die Gruppe von Peter Stein gab es den Anstoß: Warum macht man Theater? Das führte allerdings nicht nur zu einer inzwischen verschollenen Ästhetik, sondern auch zu besseren Bedingungen im Stadttheater. Heute erleben wir mehr die Infragestellung des Theaterspiels, haben weniger Mühe mit Ironie, Kommentaren – ein Desaster.

Haben Sie auch in Deutschland Vorbilder? Was waren dort die wunderbaren Jahre?

Eben: Zum einen die Begegnung mit Stein, die Unbedingtheit und Radikalität dieses Mannes waren prägend. Er ist ein Theatergründer, bei ihm an der Schaubühne gab es die verschiedensten Arten der Inszenierungen. Ich sah noch als 20-Jähriger „Clavigo“, von Kortner inszeniert. Das war ein Schock für mich, der Regisseur ließ ganze Bewegungsabläufe um ein Thema spielen und formte die Melodie der Texte bei jedem einzelnen Schauspieler. Er unterbrach die große Auseinandersetzung zwischen Clavigo und Beaumarchais durch eine Nacht, in der man Clavigo an seinem Tisch schlafen sah. In den letzten 15 Jahren habe ich bisher nichts Besseres gesehen als einige Inszenierungen von Peter Zadek, darunter den „Iwanow“.

Was halten Sie vom Publikum in Wien?

Das ist sehr verwöhnt und aufmerksam. Ein berühmter Schauspieler fragte mich heuer nach dem gerühmten und hier gefeierten „Onkel Wanja“, was denn hier los sei, warum die Zuseher nicht reagieren, nicht lachen? Ich sagte ihm, die gehen nicht in einen Klub, die konzentrieren sich ganz einfach.

Sie sind inzwischen ein Wiener. Warum haben Sie den Intendantenvertrag verlängert?

Für mich ist Wien ideal. Ich finde diese Stadt ganz einfach inspirierend, wie geschaffen fürs Theater. Vielleicht kommt es daher, dass meine Familie vom Vater her ziemlich k. & k. war. Ich kann hier eigene Sachen produzieren, Betteln ist nicht meines. Wien ist in den letzten zwei Jahrzehnten auch eine offene, produktive Stadt geworden. Die Berliner locken immer mit dem Argument, dort sei es wie in New York. Wien ist nur Wien, hat seine eigene Identität. Die kulturelle Mischung ist auch interessant.

Was mögen Sie nicht an Wien? Spüren Sie hier auch die Fremdenfeindlichkeit?

Manchmal erlebe ich das direkt. Ich war mit dem Taxi unterwegs, der Fahrer nannte einen exorbitanten Preis. Ich war nicht einverstanden. Er sagte, wir seien hier nicht im Orient, ich solle machen, dass ich wegkomme. Auf die Frage, ob er das wegen meines Aussehens sage, hat er böse reagiert. Das gibt es in Wien, aber auch in Paris. Dort hat ein arabischer Taxler gegen die Juden geschimpft, es ging ihm nicht einmal um Israel, es ging ihm um die Juden. Ich stieg aus.

Wie ist es wirklich gelaufen, mit der Wahl des Intendanten bei den Salzburger Festspielen im Vormonat? Waren Sie involviert?

Ich war nicht involviert. Als ich einmal gefragt worden bin, habe ich mich zwölf von 24 Stunden geschmeichelt gefühlt. Die restlichen zwölf Stunden habe ich schon gewusst, dass es für mich gar nicht mehr in Frage kommt. Ich habe zum einen den Vertrag in Wien, und zum anderen ist es mir in Salzburg zu repräsentativ. Gérard Mortier hat das in den Neunzigerjahren fantastisch gemacht, er war so innovativ in der Oper. So eine Art Direktor findet sich nicht einfach. Heute wird doch meist nur noch Kultur verwaltet. Was soll man denn an der Oper erneuern? Soll man das überhaupt? Ich mache derzeit gerne Musiktheater, vielleicht ist das eine Flucht. Allgemein gibt es in Europa Stagnation. Bei einem noblen Festival wie Salzburg merkt man das besonders stark. Wir haben, wie schon der Philosoph Gilles Deleuze feststellte, ein kulturelles Tief, ein Vakuum gar, das wir zu überspielen versuchen.

Spürt man in Ihrem Bereich der Kunst die aktuelle wirtschaftliche Misere?

Künstler sind doch meist viel zu sehr auf sich bezogen, um das zu bemerken. Die Krise schockiert mich nicht. Es spielt sich eben in Ökonomie und Politik eine Krankheit ab wie bei einem Menschen. So sind eben die Kreisläufe. Krise ist im Übrigen ein Joker-Wort, das alles und nichts bedeutet.

Ihren Roman haben Sie ihrer Mutter gewidmet. Es ist also ein sehr persönliches Buch.

Die Figur ist nicht ich, sondern jemand anderer, ein Assistent und Untertan. Es gibt Momente aus vielen Begegnungen. Sogar die Geschichte meiner Mutter ist ganz anders, obwohl auch sie in der Nazizeit in Marseilles versteckt war, wie die Mutter und Großmutter im Buch.

Einmal heißt es, dass sich die Opfer nie verzeihen, den Naziterror überlebt zu haben.

Meine Generation muss sich nicht damit brüsten, Opfer zu sein, wie das auch Alain Finkielkraut über den imaginären Juden schreibt. Ich persönlich habe nicht furchtbar gelitten, so wie Verwandte oder meine Eltern. In deren Generation konnten tatsächlich einige nicht ertragen, dass sie gerettet wurden. Man sagt das über Primo Levi oder Peter Szondi, die meisten sind aber froh! Meine Generation war im Nebenzimmer und hat alles gehört, war aber nicht in der Gaskammer. Wir sind keine Opfer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2009)

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