„Der Kongress tanzt“: Elektrisches Fluidum

Schunkeln. Auf dem Wiener Kongress tanzten Europas Herrscher – in der Realität und in der Operette.
Schunkeln. Auf dem Wiener Kongress tanzten Europas Herrscher – in der Realität und in der Operette.(c) Barbara Pálffy / Volksoper
  • Drucken

Wie die Wiener der Tanzbegeisterung verfielen: eine Erkundung zur Volksopern-Premiere „Der Kongress tanzt“.

Der Kongress tanzt“ ist wohl das am häufigsten verwendete Zitat im Zusammenhang mit dem internationalen Gipfeltreffen, das im Winter 1814/15 die Stadt Wien zum politischen Brennpunkt der Welt gemacht hat. Abgesehen davon, dass der Ausspruch des Grafen de la Garde in der Regel – wie soeben – verkürzt wiedergegeben wird (der Graf hat noch hinzugefügt: „. . . aber er kommt nicht vom Fleck“) evoziert er in uns das Bild einer mit Haut und Haar dem Walzertanzen verfallenen Epoche. Was wir vor unserem imaginären Auge sehen, was wir klingen hören, ist freilich das Wien der Ringstraßen-Ära, der Zeit von Kaiser Franz Joseph, es sind das prächtige „Hofball“-Gemälde Wilhelm Gauses, die Operettenklänge der „Fledermaus“ (1874), vielleicht sogar der „Lustigen Witwe“ (1905). Damit führt uns die Fantasie auf die falsche Fährte. Der Wiener Kongress findet ja beinah 100 Jahre früher statt, im Gefolge der Napoleonischen Kriege, die Europa um 1800 erschüttert haben. Trotz enormer finanzieller Probleme nach den Kriegen wird bei dieser Gelegenheit die Festkultur hochgehalten. Auch die Bevölkerung hat ihren Teil daran und verspürt unbändige Lust, das Tanzvergnügen in die folgende Ära zu retten, in die Ära des Biedermeier, in der sonst verinnerlichte Schlichtheit regiert. Die Ballkultur im Fasching wird hingegen das erlaubte Ventil bleiben. Die große, unverwechselbare wienerische Tanz- und Musikkultur erwächst aus kleinsten Einheiten.

Mit gutem Grund darf also behauptet werden, dass unsere erste Assoziation zum Thema „Der Kongress tanzt“ doch nicht ganz falsch gewesen ist: Die Musik der Söhne des ersten Walzerkönigs, Johann Strauß (Sohn), Joseph und Eduard – erzählt tatsächlich von jenem legendären „Wiener Blut“, das in den Jahren um den Wiener Kongress erstmals so recht in Dreivierteltakt-Wallung geraten ist.

Strauß Großvater. Vater Strauß und sein Compagnon Joseph Lanner haben dazu den Grundstein gelegt. Die beiden sind Kinder der Krisenzeit, in die Österreich durch die Koalitionskriege gegen Frankreich geraten ist. Die Lebensumstände sind bitter – und treiben viele Bewohner Wiens, die ihre Existenz verlieren, sogar in den Selbstmord. Eines der Opfer der Krise scheint der Großvater der drei Walzer-Sträuße zu sein. Die Leiche des Bierwirten zum Heiligen Florian in der Leopoldstadt, Franz Borgias Strauß, wird am 5. April 1816 gefunden, und zwar in einem der Donauarme, die damals die zum Fluss hin gelegene Wiener Vorstadt durchzogen. Die finanzielle Lage von Strauß Großvater scheint aussichtslos gewesen zu sein – wie die vieler seiner Landsleute. Die wirtschaftliche Situation im Kaiserreich erreicht ausgerechnet in den Jahren nach dem glanzvollen Wiener Kongress ihren Tiefpunkt.

Berauschend. Im Biedermeier scheint dann das Tanzvergnügen in der Faschingszeit als fröhliches Relikt der Kongress-Zeit das einzige Ventil für die Wiener Bevölkerung gewesen zu sein. Man frönte ihm ausführlichst. Das Walzen hatte da schon Tradition. Während des Kongresses tanzten ausschließlich die unteren Schichten diesen Modetanz, bei dem die Paare einander eng umschlungen halten durften. Doch wurde nachweislich schon bei Hof Walzer getanzt, allerdings erst, wenn die Allerhöchsten Herrschaften den Ballsaal bereits verlassen hatten. Auguste de la Garde schildert die berauschende Wirkung, die das neue Walzervergnügen auf die Gesellschaft hat: „Nach dem Abgang der Souveräne begannen die Orchester Walzer zu spielen. Gleich schien sich ein elektrisches Fluidum der ganzen zahllosen Versammlung mitzuteilen. Besonders in Wien hat dieser Tanz bei dem musikalischen Blut der Österreicher all den Reiz bekommen, der ihm eigen ist; man muss nur mitansehen, wie der Herr seine Dame nach dem Takte stützt und hebt im wirbelnden Dreh, und diese dem süßen Zauber sich hingibt und mit dem verschwimmenden Blick noch verführerischer wird. Man kann aber auch kaum die Macht begreifen, die der Walzer ausübt.“

Die neuen bürgerlichen Ballsäle platzen wegen des immensen Andrangs schon vor dem Kongress-Winter aus allen Nähten. Neubauten plant man daher immer länger und immer breiter. Kurz vor der Jahrhundertwende wird die Neue Welt in der Kleinen Neugasse eröffnet. Es ist der erste Wiener Ballsaal mit gebohnerten Parketten. Das hat Vorbildwirkung für alle anderen Ballsäle – und es beeinflusst die Mode: Die Absätze von Herren- und Damenschuhen werden niedriger, fallen bei den typisch biedermeierlichen Kreuzbandschuhen und Slippern für die Damen bald ganz fort. Der Kaiserhof nutzt die Tanzwut der Untertanen für Werbezwecke. Nicht von ungefähr öffnet der eleganteste und größte Saal der Stadt, der Apollosaal, jenseits der Stadtmauern 1808 aus Anlass der Hochzeit des Kaisers mit Maria Ludovica von Este seine Pforten. Er bietet mit seinen zahlreichen Nebenräumen bis zu 8000 Gästen Platz.

Zwei Stunden benötigt man für den Einlass am Abend der Eröffnung. Das Kaiserhaus bleibt dem Apollosaal übrigens gewogen: Im Zuge der Festivitäten zum Wiener Kongress besucht Franz I. mit den Erzherzögen und den höchsten Staatsgästen einen Ball am 12. Dezember 1814.

Der Zar kommt. Genau einen Monat später verzeichnet die Chronik dann den Besuch des russischen Zaren, der in Begleitung einiger Herren inkognito erscheint. Das ist nicht ungewöhnlich. Der allzeit spöttische Wiener Tratsch und Klatsch weiß die Monarchen einzuteilen. In Form einer Litanei rezitiert man: Der Kaiser von Russland liebt für alle, der König von Preußen denkt für alle, der König von Dänemark spricht für alle, der König von Bayern trinkt für alle, der König von Württemberg isst für alle, der Kaiser von Österreich zahlt für alle.

Offiziell feiert die große Gesellschaft in der Regel natürlich nur dann in der Vorstadt, wenn es gilt, Volksverbundenheit zu zeigen. Die glanzvollen Feste bei Hof zelebriert man in den Redoutensälen. Die bedeutendsten Komponisten liefern wohl honorierte musikalische Beiträge: Für eine Redoute im Jahre 1795 schreibt ein aus Bonn zugereister Schüler Joseph Haydns, des berühmtesten Komponisten dieser Zeit, seine ersten Wiener Orchesterwerke: Diese Menuette und Deutschen Tänze markieren einen Schnittpunkt in der Wiener Klassik, werden allseits gelobt, ohne dass jemand zu diesem Zeitpunkt ahnen konnte, welchen Aufstieg dieser Komponist erleben würde. In den Kongress-Jahren 1814/15 ist er schon der weltweit höchstgeachtete Meister seiner Zunft: Ludwig van Beethoven.

Tipp

„Der Kongress tanzt“. Operette von Werner Richard Heymann und Erik Charell, mit Anita Götz, Robert Meyer, Boris Eder, ab 20. 2., Volksoper (nächste Termine: 27. 2., 2., 5., 9. 3.)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.