Ein Fußball-Musical über die Verlogenheit der Fußballindustrie

HAU/Gianmarco Bresadola
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Indie-Pop-Musiker von Andreas Spechtl bis Jens Friebe erzählen auf der Berliner Bühne Hebbel am Ufer die Geschichte des fiktiven Fußballvereins Bussard Berlin. Das Stück „Der Spielmacher“ ist ein kreativer und humorvoller Hybrid aus Schauspiel, Musik und Performance – ein Fussical.

Ein wenig undankbar ist es schon. Wenn alle draußen in der Sonne auf Leinwänden das aktuelle Spiel der Fußball-EM sehen, wird es im Hebbel am Ufer dunkel. Immerhin, auch auf der Bühne des Berliner Theaters geht es um Fußball. Nur anders. Regisseur Patrick Wengenroth inszeniert im „Spielmacher“ die Geschichte des fiktiven Drittliga-Klubs Bussard Berlin und seiner Protagonisten. Und das in einem Format, das ganz bewusst als Hybrid angelegt ist zwischen Schauspiel, Musik und Performance. Ein Fussical eben, wie es das Stück im Subtitel trägt.

Hauptfigur ist der Spielmacher der Bussarde, Mehmet Müller, der seinen Verein überraschend ins Viertelfinale des DFB-Pokals geschossen hat. Der aber am System zunehmend verzweifelt. An den ständig gleichen Fragen der Reporter. An all dem Druck von Fans und Verein, der auf ihm abgeladen wird. Und nicht zuletzt an seiner Homosexualität, der Liebe zu einem Mitspieler, die er nicht nach außen tragen kann.

Das Spiel mit Sexualität und Geschlechterrollen zieht sich auch durch die Besetzung – wird doch Mehmet von einer Frau gespielt, der künftigen „Tatort“-Kommissarin Eva Löbau. So wie auch andere Männerrollen mit Frauen besetzt sind – vom korrupten Präsidenten des Vereins, der irgendwo zwischen Franz Beckenbauer und Uli Hoeneß angelegt ist, bis zum objektophilen Platzwart, der in den blauen Kunstrasen des Stadions verliebt ist. Der wird gespielt von Christiane Rösinger, jener Berliner Musikerin, die einst mit den Lassie Singers bekannt wurde.

Das ist dann auch das nächste Element, das sich durch diese Inszenierung zieht – ein Gutteil des Ensembles sind keine Schauspieler, sondern Musiker. Andreas Spechtl (Ja, Panik), Jens Friebe, Chris Imler oder die Indie-Band Die Türen. Sie spielen ihre Rollen und zwischendurch ihre eigens für das Stück komponierten Lieder.

Keine klassischen Musicalnummern, sondern deutschen Indie-Pop mit intelligenten Texten. Da lässt etwa Jens Friebe den „Chor der Spielerfrauen“ auftreten oder machen Die Türen eine bösartige finanzielle Bestandsaufnahme des Fußballsports: „Korruption ist mein Verein“.

Der Scheich aus Abu Dhabi

Verlogenheit ist eines der Leitmotive in der rund zweistündigen Aufführung. Was spätestens klar wird, als ein Scheich aus Abu Dhabi Mehmet Müller abwerben will. Und der Präsident, der Geld veruntreut hat und damit aufgeflogen ist, hier die Chance zu seiner Rettung sieht. Dass nämlich gleich der ganze Verein in das Wüstenemirat übersiedelt. Und natürlich bürdet er dem Protagonisten all diesen Druck auf. Der fasst seine Lage in Anlehnung an Rousseau zusammen: „Der Spieler ist frei geboren und liegt doch überall in Ketten.“ Besonders sichtbar wird das, wenn er versucht, vom Spielfeld zu fliehen, doch von einem riesigen Ball – gespielt von Regisseur Wengenroth selbst – daran gehindert wird. Die Show muss weitergehen.

Am Ende bleibt ein Stück, das auf humorvolle und intelligente Art das System Fußball mit all seinen Widersprüchlichkeiten und Lügen zerlegt. Inmitten von Autos mit schwarz-rot-goldenen Fahnen und hupenden Autocorsos nach einem Deutschland-Spiel eine schöne Abwechslung. So undankbar ist der Besuch im Theater ja doch nicht.

Infos:www.hebbel-am-ufer.de; das dazugehörige Album „Der Spielmacher“ ist als CD und Doppel-LP auf dem Label Staatsakt erschienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2016)

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