Volkstheater: Iphigenie ist nur das erste Opfer des Krieges

Fotoprobe: "Iphigenie in Auls / Occident Express"
Fotoprobe: "Iphigenie in Auls / Occident Express"(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Direktorin Anna Badora inszenierte eine antike Tragödie des Euripides und ein aktuelles Stück von Stefano Massini. Die Gewalt und das Meer verbinden "Iphigenie in Aulis" mit dem intensiven Flüchtlingsdrama "Occident Express".

Was geschah, nachdem die Königstochter Iphigenie bereit war, sich von ihrem Vater schlachten zu lassen? Heerführer Agamemnon war eingeredet worden, es werde in Aulis nur dann günstige Winde für die Schiffe der Griechen im Feldzug gegen Troja geben, wenn die Götter durch dieses brutale Opfer günstig gestimmt würden. Zehn Jahre Krieg folgten als Rache für den Raub der Helena, der Schwägerin des Agamemnon, durch den Trojanerprinzen Paris. Massenhaft Tod, Zerstörung, Jahre der Irrfahrt für Verschlagene wie Odysseus. Und in der Familie des Agamemnon riss danach die Serie an schlimmsten Verbrechen gar nicht mehr ab. Gattenmord und Muttermord undnoch viel mehr Exil.

Anna Badora führte diese brutalen Mythen in ihrem Haus noch viel weiter. Ihre Inszenierung bot am Freitag im Volkstheater ein Doppelpack: Gut eine Stunde dauerte die Kompaktversion von „Iphigenie in Aulis“, der 2422 Jahre alten Euripides-Tragödie. Nach der Pause gab es eine weitere gute Stunde für Stefano Massinis aktuelles Flüchtlingsdrama „Occident Express“. Der Weg entwurzelter Menschen aus dem Krieg im Irak führt über die Türkei, das Meer, den Balkan bis Schweden. Dieses Stück des 1975 geborenen Florentiners (seit 2015 Leiter des Piccolo Teatro in Mailand) ist sein neuestes.

Pipeline auf dem Weg nach Westen

Was eint derart disparate Texte? Der Krieg, behauptet Anna Badora im Programmheft. Es ist zwar ein kühner Versuch, diesen Bogen zu schlagen, Gemeinsames erschließt sich nur in Spurenelementen, aber der Abend mit dem Doppeldrama funktioniert tatsächlich. Die Direktorin hat diesmal eindeutig den besten Start von ihren bisher drei Saisonen in Wien erwischt. Dem Text des Euripides werden sowohl das nötige Pathos als auch der entscheidende Schuss Ironie versetzt, die Fluchtgeschichte bewegt sich hart an der Grenze zum Sozialkitsch, aber das ist zweitrangig, denn es wird atemlos, mit einfachen Mitteln, eine spannende Geschichte erzählt. Phasenweise glaubt man den sieben Akteuren, direkt dabei zu sein – etwa in der engen, langen, dunklen Pipeline, die diese so vielen Gefahren ausgelieferten Menschen vom Irak in die Türkei führt (es ist ein Glaskubus, in den sich die ölverschmierten Darsteller zwängen). Man fühlt sich dabei auf dem schwankenden, völlig überfüllten Boot, mit dem das griechische Festland erreicht wird, um zu erfahren, dass man weiterhin Kriminellen ausgeliefert sein wird, die den Flüchtenden das letzte Geld wegnehmen, sie als Drogenkuriere auf dem Weg nach Mitteleuropa missbrauchen. Der zweite Teil des Abends ist noch intensiver als der erste, wenn auch nicht so anspruchsvoll.

Gespielt wird in simplen Bühnenbildern von Damian Hitz. Das Meer – eine Lacke, in der Helden planschen. Das Land – eine leere Plane. Im Miniglaskäfig: eine echte Maus. Bei Euripides werden vor allem die Männer vorgeführt: Rainer Galke als Agamemnon mit lächerlich bebuschtem Helm wird zur Karikatur eines Anführers. Beinahe hilflos ist er den Manipulationen des aasigen Odysseus (Sebastian Pass) und seines berechnenden Bruders Menelaos ausgeliefert, den Lukas Holzhausen als eigentliches Alphatier spielt. Aber Achilleus wenigstens, der strahlende Held? Jan Thümer gibt ihn als tumben Toren.

Von der Unschuld zur Kriegstreiberei

Die stärkeren Figuren sind Frauen: Anja Herden als Agamemnons Gattin ist dominant, Katharina Klar, anfangs eine reizende, unschuldige Iphigenie, entwickelt sich zur Kriegstreiberin, angefeuert von einem adretten Mädchenchor (Text: Soeren Voima). Entschlossene Frauen prägen auch die Flucht in Teil zwei. Henriette Thimig, zuvor ein vorsichtiger Alter, spielt nun die Unbeugsame: Haifa, eine alte Frau, die dem Massaker in Mossul entkommen ist, wird zum Zeichen der Hoffnung. Sie ist das Kraftzentrum von sieben Flüchtlingen, die in Europa Schutz suchen. Die hält nichts und niemand auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2017)

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