Der Eklat im Konzertsaal

Polizeieinsatz am 9. 12. 1968: Demonstranten und Texter Ernst Schnabel wurden verhaftet.
Polizeieinsatz am 9. 12. 1968: Demonstranten und Texter Ernst Schnabel wurden verhaftet.DB / dpa / picturedesk.com
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Wien modern I. Die Uraufführung von Henzes „Das Floß der Medusa“ ging 1968 in Hamburg in einem Skandal unter. Heute wird das packende Stück in Wien gespielt.

Demonstrationen, Fahnen, Flugblätter, Sprechchöre, Transparente, Polizeieinsatz, Eskalation, Gewalt, Verhaftungen, Verletzte – und kein Ton Musik: Wilde Szenen spielten sich ab am 9. Dezember 1968 in einer zum Konzertsaal umfunktionierten Hamburger Messehalle. Vor versammeltem Publikum und Ehrengästen wie Georg Solti oder Peter Ustinov endete die Uraufführung von Hans Werner Henzes Oratorium „Das Floß der Medusa“ im Chaos, bevor sie begonnen hatte – als einer der spektakulärsten Skandale der Musikgeschichte. Seine Grundlage hatte er in einem humanitären Desaster, das damals eineinhalb Jahrhunderte zurücklag.

Am 2. Juli 1817 lief die französische Fregatte „Méduse“ vor Westafrika auf Grund: Der inkompetente Kapitän wollte die Arduin-Sandbank nicht umfahren. Ein Sturm gab dem Schiff den Rest. Die Rettungsboote blieben Kapitän, Offizieren und Passagieren aus Adel und guter Gesellschaft vorbehalten. 147 Menschen wurden teils mit Waffengewalt auf ein kaum seetüchtiges Rettungsfloß gezwungen, wo ihnen das Wasser bis zur Hüfte stand. Es sollte von den Booten an Land geschleppt werden, war aber kaum zu steuern. Das Seil wurde gekappt, das Floß trieb steuerlos ab. Bald herrschten auf ihm Panik und Gewalt. Lebensmüde ließen sich über Bord spülen, andere wurden gestoßen, erdrückt oder exekutiert. Leichen dienten als Nahrung. Nach zwölf Tagen Martyrium konnten nur noch 15 Elende gerettet werden, von denen fünf wenig später an Land starben – darunter der Matrose Jean-Charles. Sein Tagebuch brachte den Skandal ans Licht und führte zu einem politischen Köpferollen. Von Géricaults Gemälde „Le Radeau de la Méduse“ (1819) an bis zu Franzobels Roman „Das Floß der Medusa“ (2017) hat das Unsägliche auch die Kunst beschäftigt.

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