Wiener Burgtheater

"Volksfeind"-Premiere: Zwerge in XXXL und eine Publikumsbeschimpfung

Joachim Meyerhoff als 'Tomas Stockmann' in 'Ein Volksfeind' im Burgtheater in Wien
Joachim Meyerhoff als 'Tomas Stockmann' in 'Ein Volksfeind' im Burgtheater in WienAPA/HERBERT NEUBAUER
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Regisseurin Jette Steckel präsentiert Henrik Ibsens zorniges Gesellschaftsdrama "Ein Volksfeind" mit erhobenem Zeigefinger. Auch ein Staraufgebot und einige starke Szenen können das gut gemeinte Unternehmen nicht retten. Zu wenig Spannung. Bei der Premiere beschimpfte Joachim Meyerhoff das Publikum

Gartenzwerge, wie lieb! Diese Figuren aus Plastik, acht an der Zahl, mit blonden Bärten, stechendem Blick, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, füllen die große Bühne des Burgtheaters in der Ausstattung von Florian Lösche. Allerdings sind die in graublaue Arbeitskluft gekleideten Trolle mit ihren gewaltigen roten Zipfelmützen mindestens vier, fünf Meter groß. Man kommt sich im Vergleich dazu vor wie ein Kind. Sie drehen sich gelegentlich oder bilden eine Mauer, sie nähern sich der Rampe oder verschwinden hinter einem luftigen Vorhang. Dann gibt es symbolträchtiges Schattenspiel. Vor allem aber schweigen sie in der dreistündigen Aufführung.

Zu wenig Spannung für Ibsens Furor

Was wird gegeben? Kindertheater? Ein Märchen? Ja, die Geschichte ist wirklich so böse wie manche Menschenfresserei bei den Grimms. Der erhobene Zeigefinger, mit dem die deutsche Regisseurin Jette Steckel Henrik Ibsens hoch moralisches Drama „Ein Volksfeind“ präsentiert, erinnert tatsächlich an penetrantere Versuche, die Kleinen zu belehren und zu besseren Weltbürgern zu machen. Aber leider entwickelt dieses gut gemeinte Unternehmen dann doch zu wenig Spannung, um Ibsens Furor zu genügen.

Ein Staraufgebot der Burg verliert sich in dieser Zwergenversion des 1883 am Christiania-Theater in Oslo uraufgeführten Dramas. Frank-Patrick Steckel, der Vater der Regisseurin, schuf die deutsche Neufassung. Als Theatermann ist er ein biederer 68er mit ausgeprägtem Klassenbewusstsein. Aktualitäten in Häppchen, die spontan wirken sollen, ergänzen das Original. Sie fügen sich nahtlos in die äußerst durchwachsene Inszenierung. Es gibt ein paar starke Momente und einfühlsame Musik von Friederike Bernhardt am Keyboard, aber auch viel Fadesse, die wahrscheinlich dem Wohlmeinen entspringt: Geh'n wir halt mal die Welt retten, auch wenn es keine Chance gibt in Zeiten von Turbokapitalismus, Populismus und Umweltvergiftung.

Der Held badet in der eisigen Natur

Ibsen hat den „Volksfeind“ als eine Abrechnung mit dem bürgerlich-liberalen politischen System geschrieben. Sein Kampf des Einzelnen gegen die ignorante Masse kann auch sehr hässlich prä-faschistisch gedeutet werden, was bei Jette Steckel nicht passiert. Bei ihr ist dieser einsame Kämpfer, der Badearzt Tomas Stockmann, ein hehrer Held. Joachim Meyerhoff, eben erst erneut mit einem Nestroy-Preis ausgezeichnet, spielt diese Lichtgestalt, die so umweltbewusst wie geradlinig ist. Ein fürsorglicher Familienvater, der wichtige Entscheidungen stets im Familienkreis fällt, mit den zwei minderjährigen Söhnen, der erwachsenen Tochter und der ebenso positiven Ehefrau. Dorothee Hartinger verströmt als Kinderärztin Achtsamkeit. Hier sind die Guten.

Erst aber taucht Dr. Stockmann allein auf der dunklen, nebelverhangenen Bühne aus einem Eisloch an der Rampe auf. Der Boden stellt eine Eisfläche dar, auf der später kunstvoll oder unbeholfen Schlittschuh gelaufen wird. Zunächst kann man den nackten Meyerhoff ausgiebig beim Duschen unter einem hohen Wasserfall, beim Abtrocknen und Anziehen bewundern. Er ist bemerkenswert gelassen, bedenkt man, was er eben herausgefunden hat: Sein Heilbad macht die Menschen krank. Das Wasser, das die Becken speist, ist verseucht – durch Chemie-Abwässer, Chrom aus der nahen Lederfabrik seines Schwiegervaters Morten Kiil. Dr. Stockmann plädiert für die Schließung des Bades und dessen teure Sanierung. Zuständig dafür ist sein Bruder, der Bürgermeister Peter Stockmann (Mirco Kreibich). Der weiß das als gewiefter Politiker zu verhindern, zieht die lokale Presse, die erst den Arzt unterstützen will, auf seine Seite. Peter Knaack, Olge Lagerpusch und Matthias Mosbach, drei an sich versierte Charakterköpfe des Hauses, müssen hier extrem platte Karikaturen der Medienwelt spielen – Herausgeber, Chefredakteur und Reporter des „Volksboten“.

Eine ordinäre Publikumsbeschimpfung

Raffinierter ist die Rolle des Bürgermeisters angelegt. Wenn Kreibich auf Schlittschuhen elegant und argumentativ die anderen umkreist, während Meyerhoff in Sandalen herum stolpert, weiß man, wer auf die Masse überzeugender wirkt. Der Arzt wird am Ende zum Volksfeind stigmatisiert, bei seiner Brandrede zur Rettung der Erde abgedrängt, von der Rampe geschubst. Die Zwerge scheinen mächtiger zu sein als der Einsame, da mag Meyerhoff noch so wunderbar und sprachmächtig deklamieren.
Er wandte sich – zumindest bei der Premiere – schließlich im Parkett ans Publikum, beschimpfte es ordinär wegen dessen "unfassbarer Apathie" und erinnerte geradezu nostalgisch an den Tumult, als an der Burg 1988 Thomas Bernhards „Heldenplatz“ uraufgeführt wurde – auch an FPÖ-Chef Strache, der damals zu den Störenfrieden der Premiere gehört habe. Meyerhoffs Impromptu mag gut gemeint gewesen sein, wirkte aber etwas peinlich.

Und wie geht die Sache aus? Der Lederfabrikant Kiil hat billig eine Aktienmehrheit der ins Gerede gekommenen Kuranstalt erworben. Für die Kinder und Enkel. Er verspricht Generalsanierungen. Dieser Auftritt des schwarz gewandeten, mit einem Gehstock bewaffneten Ignaz Kirchner, ist großartig – ein teuflisch guter Kapitalist gewinnt der Weltverbesserung seiner Erben eine positive Bilanz ab. Das ist der Treppenwitz dieser Inszenierung. Die Politik war ein Schaulaufen. Nur die Wirtschaft bewegt wirklich.

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