Volx/Margareten: Traumreise nach Aleppo mit Hindernissen

„Heimwärts“: Isabella Knöll, Oktay Güneş, G. Franzmeier, Kaspar Locher, Günther Wiederschwinger.
„Heimwärts“: Isabella Knöll, Oktay Güneş, G. Franzmeier, Kaspar Locher, Günther Wiederschwinger.(c) Lupi Spuma
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Pinar Karabulut inszeniert Ibrahim Amirs „Heimwärts“: Schrill, laut, letztlich überzeugend. Sebastian Pass und Günter Franzmeier begeistern.

Ein rotes Gebirge füllt die kleine Bühne im Volx/Margareten fast aus. Ein alter Mann im geblumten Schlafrock mit knallgelber Mütze sitzt auf einer Miniaturmoschee. Anfang der 1970er-Jahre floh Hussein vor den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und den arabischen Ländern nach Europa. Er wollte nach Irland. Er blieb in Wien hängen, verliebte sich in die Stadt. Jetzt ist er alt, schwer krank und möchte noch einmal seine Heimat sehen. Sein Neffe soll ihn nach Aleppo bringen.

„Heimwärts“ vom kurdischen Arzt und Autor Ibrahim Amir ist eine Farce, die das Leben schreibt. Wer seine Heimat verlässt oder verlassen muss, sieht scharf und grotesk, was woanders nicht stimmt. Albträume sind stets gegenwärtig, jederzeit kann sich so ein Fenster ins Grauen öffnen. Pinar Karabulut hat inszeniert und zeigt dieses ständige Schweben über dem Abgrund, das es unmöglich macht, irgendwie, irgendwo nachhaltig Vertrauen zu fassen.

Action und Sprachenchaos

Immer wieder hofft Hussein auf den Anblick des Euphrat, aber immer noch ist es die Donau, die er sieht. Vielleicht ist er gar nicht abgefahren, weil, wie sein Neffe erzählt, keiner ein Auto für das Kriegsgebiet leihen will, schon gar nicht möglichen Terroristen. Die Vorurteile fliegen wie Pakete und sehr tief.

Regisseurin Karabulut, 1987 in Mönchengladbach geboren, gewachsen u. a. an Stefan Bachmanns experimentier- und jugendfreundlichem Kölner Schauspielhaus, und Autor Amir, 1984 in Aleppo geboren, seit 2002 in Wien, sind fast gleich alt. Wenn man Amirs Stoffe betrachtet, Ehrenmord, die Besetzung der Votivkirche, könnte man auf die Idee kommen, hier handle einer mit schwerer Moral im Brecht-Stil. „Heimwärts“ ist mehr geprägt von Filmblockbustern, Hollywood-Action. Der dunkle Ritter erhebt sich, in surrealer Atmosphäre schlägt die Technik grandiose Kapriolen. Auf der Kellerbühne geht das natürlich nicht, daher müssen die Menschen verrückt spielen. Und das tun sie auf äußerst lebendige Weise, spottend ihrer Kostüme, die aussehen, als nähmen sie an einem Faschingsball teil. Osman, der Arzt, trägt eine Art Opposuit oder Discooutfit in Blitzblau aus den Achtzigern, der türkische Beamte einen ausladenden Sommerhut, seinem Partner Bekir baumelt eine breite Talmikette um den Hals, auf dem Kopf hat er eine schwarze Gummibademütze – und Krankenschwester Simone schillert in Quietschgelb mit Netzstrümpfen (Bühne und Kostüme: Aleksandra Pavlović). Wahnsinn überall, sagt diese lautstarke, schrille Inszenierung, und wer das mag, wird auch diesen Abend mögen. Dessen größtes Manko allerdings ist, dass die vom Volkstheater jüngst eingeführten Untertitel hier fehlen. Wer nicht Türkisch oder Serbokroatisch spricht, versteht nur einen Teil des Textes. Ermüdend, fand eine Dame den Tohuwabohu. Er erzählt aber auch viel von den Möglichkeiten eines multikulturellen Theaters, das sich viel zu oft in Gutmenschentum erschöpft, ohne die wahren Probleme der Entwurzelung, Angst, Orientierungslosigkeit zu erfassen – die heute viele fühlen, auch Menschen, die nie auf der Flucht waren.

Das Ensemble ist köstlich, allen voran Günter Franzmeier als Hussein und Sebastian Pass, der die wandlungsfähigste Rolle hat: Bekir, der nationalistische Türke ist ein Erdoğan-Verehrer; wie es ist, ausgegrenzt zu sein, hat der Sohn eines Gastarbeiters ausführlich erfahren, sein Kollege (Oktay Güneş) dagegen unterstützt die Putschisten. Das erste türkische Theater hat Peter Stein 1979 in Berlin etabliert. Dieser Abend vermittelt, wie Bühnenkunst mit Inklusion aussehen könnte: als Abbild der Welt, gezeichnet in krassen Farben, aber auch mit Humor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2018)

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