„Stadium“: Bühne frei für Fußballfans!

Mediator. Mohamed El Khatib wechselte nach einer Verletzung vom Fußball zum Theater.
Mediator. Mohamed El Khatib wechselte nach einer Verletzung vom Fußball zum Theater.(c) Michele Pauty
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Mohamed El Khatib zeigt bei den Festwochen sein Doku-Theater „Stadium“ und will Vorurteile mit Humor ausräumen. „Bei Österreich denken Franzosen an Walzer, nicht an Fußball.“

Mohamed El Khatib hat an diesem Sonntag, an dem er nach Wien gekommen ist, um mit einem Rapid-Fan über seine Produktion „Stadium“ zu sprechen, Schnupfen. Aber geduldig beantwortet er alle Fragen über das Böse am Fußball: „Klar ist Fußball ein Ventil für Machismus und Nationalismus. Die öffentliche Meinung sagt: Fußball ist wie Krieg, ein Event für die Massen, sexistisch und gewalttätig. Aber ich richte meinen Fokus auf anderes: Das Stadion ist ein Ort, wo alle Klassen zusammenkommen. Und es ist ein Ort echter Mischung, nicht wie ein Museum, das überwiegend bürgerliche Leute besuchen, die nicht miteinander reden, wenn sie einander nicht kennen.“ Beim Fußballmatch hingegen sitzen Reiche und Arbeiter Seite an Seite. „Homophobe und Homosexuelle kommen hin, Fremde und Fremdenhasser. Diese Zusammenkünfte können Perspektiven verändern. Zehn Nationalisten sagen: ,Die Migranten müssen aus dem Land.‘ Aber wenn zwei progressiv und acht konservativ denken, ändert das die Stimmung. Dann fragt vielleicht einer nach: ,Warum sollen Migranten nicht bei uns sein?‘ Und so entstehen Gespräche.“

Fünf Kinder. El Khatib ist 37. Er wurde in Beaugency (Centre-Val de Loire) geboren. Sein Vater war Schweißer. Er wanderte aus Marokko ein. Fünf Kinder sind sie zu Hause. El Khatib wollte Profifußballer werden, doch eine Knieverletzung stoppte seine Karriere. Heute ist er froh: „Hätte es mit der Fußballkarriere geklappt, wäre ich nicht zum Theater gekommen. Das Theater gibt mir die Möglichkeit der Grenzüberschreitung. Ich möchte gegen das Vorurteil ankämpfen, dass Fußball idiotisch ist. Im Intellektuellenmilieu gibt es ja diese Verachtung.“ Freilich sah man schon manchen Intellektuellen heimlich ins Stadion schleichen. „Tatsächlich?“, grinst El Khatib: „ Ich hoffe, dass sich durch Film- und Theaterregisseure die Ansichten Intellektueller über Fußball ändern. Im Stadion gibt es Good Vibrations, unter den Spielern, aber auch zwischen Spielern und Publikum. Es ist ein Wechselbad der Gefühle. Es gibt ja nichts Schlimmeres als Sicherheit. Im Stadion kannst du in der 88. Minute unglücklich sein und in der 89. glücklich. Es ist ein sehr intensives Gemeinschaftserlebnis. Das ist auch im Theater so. Aber es gibt dort keine Zufälle, außer es fällt eine Dekoration herunter. Toll ist im Stadion ferner, dass nicht der Reichste und der Tüchtigste gewinnt. Jeder kann einen Coup landen.“

Fritten und Fußball. Hund Ch‘ti ist das Maskottchen des Clubs RC Lens , Basis von „Stadium“.
Fritten und Fußball. Hund Ch‘ti ist das Maskottchen des Clubs RC Lens , Basis von „Stadium“. (c) Yohanne Lamoulère/Picturetank

Freundschaftsspiel. Bei „Stadium“ (Stadion) entern quasi die Fans die Bühne. Zu erleben ist ein österreichisch-französisches Freundschaftsspiel mit Laien und Profis. El Khatib adaptierte seine französische Version für Wien. In Frankreich spielten 53 Fans des nordfranzösischen Clubs RC Lens im Département Pas-de-Calais, ein Arbeiterverein wie Rapid. Mit Sprechchören, Tanz, Video wird ausgerechnet das prunkvolle Theater an der Wien, sonst Schauplatz der Oper, zum Spielplatz gänzlich anderer Emotionen. Was ist das Wichtigste an „Stadium“? „Leute anzusprechen, die sonst nicht ins Theater gehen, weil sie Schwellenangst haben. Mitspielen ist die beste Form, sich Theater anzueignen.“

Franzosen und Österreicher waren historisch Rivalen. El Khatib: „Geschichte spielt keine große Rolle mehr. Bei Österreich denken Franzosen an Wiener Kaffeehaus, Walzer, Oper und Fiaker, aber nicht an Fußball, da bedauern sie die Österreicher eher.“ Wie ist die Stimmung in Frankreich nach den Terroranschlägen auf „Charlie Hebdo“ und Bataclan? El Khatib: „Meine Eltern sind seit 1970 in Frankreich. Die Terroranschläge wurden von Angehörigen der zweiten und dritten Generation verübt, die in Frankreich oder Belgien geboren, aber nicht integriert sind.“ Warum nicht? El Khatib: „Es liegt am latenten Rassismus. Sehen Sie sich den Front National an. Man hat die Kinder der Einwanderer in der Banlieue geparkt. Sie haben keinen Zugang zu Bildung oder zu Bibliotheken. Sie haben auch keine Arbeitsplätze. Sie kennen nur Zinédine Zidane, den lieben sie. Sie sehen eine autoritäre Politik mit viel Polizei, die systematisch Aktionen gegen die jungen Leute unternimmt. Mit so einer Politik kreiert man die Bombenleger von morgen. Die jetzige Situation ist auf Exklusion zurückzuführen, die lang zurückreicht. Ich könnte kein Appartement in Paris mieten, obwohl ich Regisseur bin und gutes Geld verdiene. Zwei von drei Hausbesitzern oder Maklern würden sagen: ,Leider ist nichts frei.‘ Wenn aber ein Franzose um die Ecke kommt, dann ist etwas frei. In der französischen Assemblée nationale, der Nationalversammlung, sitzen über 500 Deputierte, aber Menschen mit dunkler Hautfarbe sind unterrepräsentiert, ebenso übrigens Frauen.“

Tipp

„Stadium“ von Mohamed El Khatib, Fred Hocké und dem Collectif Zirlib, 29./30. Mai, Theater an der Wien (Französisch mit deutscher Übersetzung).

("Die Presse", Kulturmagazin, 13.04.2018)

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