Tschechow im Rap statt im Pelz

Anton Tschechow.
Anton Tschechow.(c) imago/ZUMA Press (JT Vintage)
  • Drucken

Neues zu Onkel Wanja: „Chekhov Fast & Furious“ bei den Festwochen.

Mit einem Stück rund um Tschechows „Onkel Wanja“ ist die französisch-österreichische Künstlergruppe Superamas zu den Festwochen gekommen. Es gibt sie seit bald 20 Jahren, sie ist mit der „Maison de la Culture“ in der nordfranzösischen Stadt Amiens verknüpft und arbeitet viel mit jungen Laien, Schülern und Studenten. Und mit verschiedensten Ausdrucksformen, von Tanz und Musik bis Film und Theater . . . Ihr letztes Projekt, „Vive l'Armée“, war ein künstlerisches Nachdenken über den Krieg, über „gerechten“ Krieg, Verteidigung und Sicherheit, Kampf gegen den Terror. Ein Jahr lang ließen sie es von Schülern mitentwickeln. Das Publikum bekam am Ende einen künstlerischen Prozess als Form des Nachdenkens vorgeführt.

Das Prinzip gilt auch für die Produktion „Fast & Furious“, die am Freitag bei den Wiener Festwochen Premiere hatte und heute, Sonntag, ein letztes Mal zu sehen ist. 18 junge Österreicher hat das Ensemble dafür in einem Casting rekrutiert – wie zuvor schon in anderen Städten, nämlich Maubeuge und Amiens in Frankreich sowie im isländischen Reykjavik. Tschechows „Onkel Wanja“ dient hier nur als Ausgangspunkt, wie schon die fiktive Podiumsdiskussion zu Beginn auf der Bühne klarmacht. Ironisch beantworten vier Künstler da vom Publikum gar nicht gestellte Fragen – beispielsweise die nach dem Titel des Stücks. Tschechow sei, ganz ehrlich, ein Etikettenschwindel. Sie hätten ihn natürlich vor allem deswegen reingenommen, weil für den Ticketverkauf am wichtigsten sei, dass ein Klassiker vorkomme.


Wanja ist gleich wieder weg. Was, wenn überhaupt etwas, empfinden die Jungen als für ihr Leben, ihre Umwelt relevant an diesem Stück? Allein darum dreht sich „Fast & Furious“. Wie viel Tschechow ist also drin? An Text – so gut wie nichts. Wohl sitzen die vom Leben erschöpften älteren Männer Wanja und Astrow in Pelzmänteln kurz zwischen orangen Plastiksesseln und tauschen sich über ihr verpfuschtes Leben aus. Doch schon nach wenigen Minuten beginnen bunt gekleidete junge Gestalten um sie herumzustreichen, begaffen sie neugierig, nachdenklich, befremdet.

Es sind die aus Österreich rekrutierten Jungen, man hat sie zuvor schon auf der Leinwand gesehen, wie sie über das Stück diskutierten. Für den einen weckte es die Frage, was ein Leben wert und wann ein Leben verpfuscht sei, für andere Fragen nach der eigenen Authentizität, des Geliebtwerdens jenseits sexueller Beziehungen, des Redens ohne Kommunikation, und einiges mehr.

Bald sind die Männer im Pelzmantel weg, außer dem berühmten, selbstgefälligen Professor Serebrjakow, für dessen Ruhm und Lebensgenuss sich Wanja und Sonja geopfert haben. Er hat sich in einen Theater-Intendanten verwandelt, der seiner schockierten Truppe die finanziellen Vorteile seines neuen Plans erklärt: Aus dem Theater soll ein mehrstöckiger Parkplatz werden. Und weiter deklinieren die Jungen, von Tschechow inspiriert, eigene Themen und Probleme durch: wie emotionalen Austausch, Liebe, Mobbing und falsches Mitgefühl (einer im Rollstuhl Sitzenden gegenüber).


Mit Isländern und Franzosen. Immer weniger Junge gehen ins Theater. Zu sehen, wie lebensprall und gemeinschaftlich diese hier miteinander spielen, sich vor allem motorisch zueinander hinspielen (man würde nicht denken, dass sie eine erst kürzlich aus dem Boden gestampfte Truppe sind) – das weckt wieder ein wenig Zuversicht. Noch dazu sind auch die jungen Gruppen, mit denen Superamas bereits davor „Fast & Furious“ erarbeitet hat, in dieser Produktion präsent, eine nach der anderen. Sie reden und tanzen auf der riesigen Leinwand, sind Teil der Choreografie beziehungsweise bestimmen sie mit. Die österreichische Jungtruppe reagiert auf ihre Bewegungen, ihre Musik, kommuniziert so mit ihnen. Dadurch erweitert sich „Fast & Furious“ mit jeder neuen Stadt, die Superamas besuchen.

Das ist das Schönste an der Produktion: zu sehen, wie unglaublich unterschiedlich die jungen Erwachsenen sich von Tschechows „Onkel Wanja“ inspirieren lassen. Nirgendwo sind sie so mitreißend wie beim rebellischen Rappen in Maubeuge. In der Tonalität viel näher an Tschechow sind die Isländer, sie greifen die Trostworte auf, die die junge Sonja am Ende zu Wanja sagt: „Wir werden die Engel singen hören, (. . .) werden sehen, wie alle irdischen Übel, alle unsere Leiden in unbegrenztem Mitleid aufgehen, das die Welt erfüllen wird, und unser Leben wird so still, so mild, so süß werden – wie eine Liebkosung (. . .)“. Ein schwermütiger Popsong wird bei ihnen daraus. Und siehe da, die 122 Jahre, die der Text alt ist – sie wirken wie weggewischt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.