Tanz der intergalaktischen Krieger

Wie Krieger in einer bizarren Welt: Vânia Rovisco und Márcio Kerber Canabarro in Meg Stuarts „Inflamável“.
Wie Krieger in einer bizarren Welt: Vânia Rovisco und Márcio Kerber Canabarro in Meg Stuarts „Inflamável“.(c) Anja Beutler
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ImPulsTanz. Die in Venedig ausgezeichnete Choreografin Meg Stuart zeigt in „Solos and duets“ fünf Ausschnitte aus ihrer Arbeit – ein faszinierend abwechslungsreiches Vergnügen.

Eine gute Viertelstunde lang verharren Vânia Rovisco und Márcio Kerber Canabarro reglos in ihrer Anfangspose, während das Publikum mit der beim ImPulsTanz üblichen Verspätung im Odeon-Theater seine Plätze einnimmt. Der Anblick ist quälend: Es ist drückend schwül im Raum – und die beiden tragen Motorradhelme auf dem Kopf. Doch statt zum Kollaps kommt es kurz darauf zu einem pyrotechnisch inszenierten Einstieg, der die Initialzündung für diesen wandlungsreichen Abend ist: Die Stelzen, die Kerber an den Füßen montiert hat, erinnern an überdimensionale Streichhölzer – und brennen kurz darauf zischend an den Enden, bevor die beiden ihr grandioses Duett starten. „Inflamável“ – brennbar – ist nicht nur die Lunte, sondern jede Begegnung der beiden, die einander wie intergalaktische Krieger in einer unwirtlichen Landschaft umkreisen, bereit zu kämpfen oder zu helfen. Er erhöht, aber auch an der Bewegung gehindert durch die Beinverlängerungen. Sie in klobigen Motorradstiefeln und schwarzem Tutu. Die Kostüme stammen vom belgischen Modedesigner Jean-Paul Lespagnard – und passen perfekt in das bizarre Szenario, in dem jeder auf groteske Weise versucht, die Oberhand zu gewinnen. Ein Kampf der Gladiatoren und Geschlechter, der unentschieden endet: Beide sind gleich stark – und gleich verletzlich.

Es ist nicht die einzige emanzipatorische Pose, die Meg Stuart den Zuschauern auf dem Silbertablett dieses glänzenden Abends serviert: Fünf Duette und Solos hat sie zusammengestellt, um den Zuschauern einen Überblick über ihr vielfältiges Werk zu geben, für das sie heuer bei der Tanzbiennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Drei kurze Solos folgen dem Auftakt: Claire Vivianne Sobottke wirkt in „oh yeah huh“ (einem Ausschnitt aus „No One is Watching“ von 1995) wie eine Frau auf der Suche nach Halt und Intimität; Maria Scaroni erforscht in „Dust“ (aus „Built to Last“; 2012) einfallsreich und selbstsicher ihr Bewegungsspektrum; und Márcio Kerber Canabarro wird in „Signs of Affection“ (2010) von den Beats eines Schlagzeugs (gespielt von Brendan Dougherty) in einen tranceartigen Schütteltanz versetzt. Hier zeigen die Tänzerinnen und Tänzer von „Damaged Goods“ die ganze Bandbreite der fruchtbaren Arbeit mit Meg Stuart.

Wie ein Äffchen an der Odeon-Säule

Aber das Beste kommt zum Schluss: „Until our Hearts Stop“. In diesem grandiosen Finale steigen Scaroni und Sobottke in den Ring. Nackt. Dann geht's richtig zur Sache: Wie zwei Catcherinnen gehen sie aufeinander los, schlagen und treten, zerren an den Haaren und Brüsten – daraus entwickelt sich ein Foppen und Schäkern, ein lustvolles Tätscheln, Räkeln und Kuscheln. Die beiden haben ihren Spaß an der ungenierten Zurschaustellung ihrer Weiblichkeit. In lächerlichen Pin-up-Posen führen sie Sexismus und Voyeurismus vor. Einmal erklimmt Scaroni wie ein Äffchen eine der imposanten Odeon-Säulen, um quietschend daran herunterzurutschen. Es ist ein kluges und vergnügliches Treiben – und Höhepunkt eines trotz der Hitze erfrischend kurzweiligen Abends.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2018)

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