Wer ist dieser Shylock?

Herden, Galke und Pass reisen mit Shakespeare ins Ungewisse.
Herden, Galke und Pass reisen mit Shakespeare ins Ungewisse. Die Presse (Carolina Frank)
  • Drucken

Anna Badora inszeniert Shakespeares "Der Kaufmann von Venedig". Das Publikum darf wählen, wer den Shylock spielen soll.

Geldregen, Geldsegen? Eher nicht. Der Segen ist oft geringer, als man glaubt, die Probleme größer, als man annimmt, ein Trost für Menschen, die nie im Lotto gewinnen oder sonst wie zu Reichtum kommen. Volkstheater-Direktorin Anna Badora inszeniert zum Saisonauftakt Shakespeares "Der Kaufmann von Venedig": Der venezianische Kaufmann Antonio macht Schulden beim jüdischen Geldverleiher Shylock, um seinem Freund Bassanio die Verheiratung mit der reichen Portia zu ermöglichen. Shylock erklärt, auf Zinsen zu verzichten, sollte Antonio allerdings das Darlehen nicht rechtzeitig zurückzahlen, muss er ein Pfund Fleisch von seinem Körper hergeben. Antonio, der darauf vertraut, dass seine Handelsschiffe reich beladen in die Lagunenstadt zurückkehren, unterzeichnet den Schuldschein. In der NS-Zeit wurde "Der Kaufmann von Venedig" instrumentalisiert, um Juden zu diffamieren. Was aber wollte uns Shakespeare mit dieser krassen Geschichte sagen?

Das Stück ist antisemitisch, sagen die einen. Möglich, das Theater des britischen Dichterfürsten war teilweise grob und für ein grobes Publikum gedacht. Das zeigen schon manche Königsfiguren. Andere meinen: Das Stück ist nicht antisemitisch, sondern es handelt einfach von der Allmacht des Geldes. Darum lichtete unsere Fotografin die Protagonisten mit einem Haufen Scheine ab. Es sind nämlich drei Personen, die in der Inszenierung von Badora den Geldverleiher spielen werden. Und bei jeder Vorstellung darf das Publikum darüber abstimmen, wen es in der Rolle des Shylock sehen möchte. Dabei sind die Zuschauer aufgefordert, über ihre Auffassungen und Vorurteile in Bezug auf Juden nachzudenken. Und was meinen die Schauspieler? Rainer Galke, Anja Herden und Sebastian Pass werden abwechselnd die Hauptrolle spielen, eine Strapaze.

Die Macht des Geldes. Shakespeare gibt keine leichte Auflösung, er beleuchtet die Ansichten der Figuren von allen Seiten. Shylock ist auch ein Opfer des Judenhasses und der Verachtung seines Volkes in Venedig. Der melancholische Antonio ist Mitglied einer arroganten, selbstherrlichen Oberschicht und wie das Verhältnis zwischen ihm und Bassanio ist, da haben jüngere Regisseure ihre eigenen Ideen: Sie meinen, Antonio liebe Bassanio, ihr Verhältnis müsse wegen der standesgemäßen Verehelichung Bassanios aufgelöst werden. Die zentrale Frage im "Kaufmann von Venedig" ist, ob Shylock ein Opfer der Verhältnisse ist oder auch ein Täter? Sebastian Pass: "Hm. Das kommt darauf an, aus welchem Blickwinkel man das Stück betrachtet. Sehen sich nicht viele Täter als Opfer der Verhältnisse? Und wann wird ein Opfer zum Täter? Wenn es anfängt, sich zu wehren bzw. zu handeln, um der Opferrolle zu entkommen?" Für Pass spiegelt "Der Kaufmann von Venedig" "Vorurteile wider, die leider auch heutzutage, im Jahr 2018, immer noch bestehen, sowohl gegenüber Religion, Geschlecht, Nationalität als auch gegenüber dem gesellschaftlichen Status.

Das Stück handelt, obwohl es über 400 Jahre alt ist, von heutigen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Wir erleben zunehmend, dass xenophobe Sprache salonfähig wird. Ich wurde oft in meinem Leben gefragt, ob ich ein ,ungarischer Jude sei. Warum fragt man mich das? Warum ist das interessant?" Jedenfalls freut sich Pass schon sehr auf seinen Auftritt: "Es ist eine großartige Rolle, die mir bei jeder Probe mehr ans Herz wächst und vor der ich den allergrößten Respekt habe!" Wie wird er seinen Shylock anlegen? Pass: "Darüber kann ich nichts verraten, ich kann nur hoffen, dass sichtbar wird, was wir uns für die Rolle ausgedacht haben."

Traumrolle Shylock. Es gab viele große und wichtige Shylock-Darsteller, darunter Gert Voss, der in Peter Zadeks Regie am Burgtheater den Geldverleiher spielte. Zadek inszenierte an der Burg auch "Der Jude von Malta" von Christopher Marlowe, ein verwandtes Stück, mit Voss in der Hauptrolle. Zu Shakespeares Zeit war "Der Jude von Malta" quasi das (weit krasser auf antisemitische Vorurteile zielende) Vorgängerstück zum "Kaufmann" und hatte einen großen Erfolg beim Publikum, an dem Shakespeare, der ja auch Theaterdirektor war, partizipieren wollte.
Weitere wichtige Shylocks in fernerer oder jüngerer Vergangenheit waren: Ulrich Matthes, Al Pacino (der auch einen viel beachteten Film über Shakespeares Monsterkönig Richard III. drehte), Sir Laurence Olivier oder Fritz Kortner.

Zählt Shylock zu den Traumrollen eines Schauspielers? Die Widerlinge sind ja oft faszinierender als die positiven Figuren in Stücken. Rainer Galke vom Volkstheater wirkt leicht empört: "Wie kommen Sie darauf, dass Shylock ein Widerling sein soll? Wer ist der größere Widerling, der Jude oder der Antisemit, der ,Judenhasser , der den Juden aus Überheblichkeit und dem Gefühl der Überlegenheit, weil er sich einer Mehrheit zugehörig wähnt, diskriminiert? Ein Jude ist zuallererst ein Mensch. Ein Antisemit ist zuallererst ein Arschloch. Natürlich könnte Shylock mit dem für ihn aus dem Schuldschein erwachsenen Anspruch auch anders umgehen. Prinzipiell gilt: Widerlinge sind immer die interessantesten Rollen. Sie haben die größten Abgründe, mit denen man als Schauspieler, aber auch als Mensch umgehen muss. Oft ist es dann auch gar nicht leicht, den Auslöser für das widerliche Verhalten, die widerlichen Charakterzüge zu finden, aber die Suche danach ist auf jeden Fall mindestens so interessant wie die Suche danach, warum ein Mitläufer mitläuft oder warum ein Gutmensch gut ist. Davon abgesehen merkt man, wie großartig der Autor Shakespeare heute noch ist, denn in dem Stück wimmelt es nur so von Widerlingen, und keine der auftretenden Figuren ist wirklich sympathisch das ist halt eine typisch shakespearesche Komödie." Kann sein, aber ist das denn wirklich eine Komödie? Warum nannte Shakes peare das Stück so? Wahrscheinlich, weil die Verzweiflung von Opfern wie Tätern im Stück auch komisch ist. Besonders in der wendungsreichen Gerichtsszene, wenn über Shylocks Forderung entschieden wird?

Was ist für Galke der wichtigste Satz des Geldverleihers? ",Sie nannten mich Hund. In dieser Beschimpfung durch Antonio kulminiert für Shylock der Antisemitismus, dem er sich durch die Kaufleute in Venedig ausgesetzt sieht. Man kann vieles erdulden und auch ertragen, aber es kommt immer irgendwann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt." Auf der Bühne hat Galke schon öfter zornige oder temperamentvolle Figuren verkörpert, während Pass mehr ein Meister der schneidenden Ironie ist und öfter auch sehr komisch (wie zum Beispiel in "Komödie im Dunkeln" von Peter Shaffer im Volkstheater). Wie bereitet sich Galke auf seine Rollen vor? "Ich suche für die Charaktere immer den persönlichen Moment in der Biografie, der ab einem bestimmten Punkt eine Umkehr unmöglich macht. Dieser Moment kann sehr klein, sehr unlogisch, scheinbar nichtig sein, aber es sind ja oft gar nicht die weltbewegenden Momente, die eine große emotionale Reaktion hervorrufen."

Frau Shylock. Die meisten Klassiker sind Bubenstücke, Frauen haben die undankbareren Rollen, hier gibt es zumindest eine interessante Figur: Portia. Anja Herden aber spielt Frau Shylock. "Ja. Grundsätzlich spiele ich jedoch gern Männer. Was ein Bubenstück ist, weiß ich nicht. Ich lese hier eine Schandtat, damit kann ich mich nicht identifizieren. Ich finde, ,Der Kaufmann von Venedig ist ein zwiespältiges, umstrittenes und schwieriges Drama, das sehr weit geht, weil es um sehr viel geht. Ich finde nicht, dass Shylock ein Böser ist. Es gibt auch über ihn Positives zu sagen: Er hat einen guten Humor." Über den "Juden von Malta" notierte Zadek im Programmheft zur Burg-Aufführung 2001: "Barabas lebt in einer unsicheren Welt, ähnlich unserer, er stirbt, schuldig, in den Flammen, wie viele heute." Shylock überlebt, doch muss er zum Christentum konvertieren.

Info

"Der Kaufmann von Venedig". Mit Anja Herden, Rainer Galke, Sebastian Pass, Günter Franzmeier, Evi Kehrstephan, ab 8. September am Wiener Volkstheater.

("Die Presse-Schaufenster", Print-Ausgabe, 31.08.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.