Burgtheater: Horváths kleiner Totentanz in Rockversion

Schonungslos, unter Einsatz all ihrer Kräfte zeigt Andrea Wenzl das Schicksal Elisabeths, einer der traurigsten Heldinnen des modernen Dramas.
Schonungslos, unter Einsatz all ihrer Kräfte zeigt Andrea Wenzl das Schicksal Elisabeths, einer der traurigsten Heldinnen des modernen Dramas. (c) Rainhar Werner / Burgtheater
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Michael Thalheimer hat „Glaube Liebe Hoffnung“ stärker als ohnehin üblich auf die Protagonistin Elisabeth fokussiert. Andrea Wenzl glänzt in dieser Rolle und rührt. Das Ensemble darf Hilfsdienste leisten, die zum Teil absurd sind.

Ein höllisch dunkler, fast leerer Raum ist die Bühne des Burgtheaters in Michael Thalheimers Inszenierung von Ödön von Horváths Drama „Glaube Liebe Hoffnung“, das Anfang der Dreißigerjahre des vorigen Jahrhunderts (unter Mitarbeit von Lukas Kristl) entstand, in der Zeit der Wirtschaftskrise, kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland. Schemenhaft erkennt man bei der Premiere am Samstag im Bühnenbild Olaf Altmanns eine riesige Schüssel als Decke für die fünf Bilder dieses „kleinen Totentanzes“.

Von weit hinten taucht eine Gestalt auf, wie ein Mädchen fast wirkt sie im geblümten Kleid, zart und doch vital. Sie zieht sich mit einem Stift die Lippen nach. Aus einem Loch im Zentrum der Schüssel oben strahlt eine Lichtsäule. Ist das ein Raumschiff? Wird diese Frau jetzt hinaufgebeamt in eine bessere Welt? Nein, ihr bleibt noch kurze Zeit auf Erden, ehe sie am Ende, missbraucht von einer verrohten Gesellschaft, verrecken wird.

„Aber ich lasse den Kopf nicht hängen“

Es ist Elisabeth, eine der so starken, in all ihren Hoffnungen enttäuschten Heldinnen Horváths, wie ihr Anfangsmonolog zeigt, der die wichtigsten Sätze dieser Protagonistin zusammenfasst: „Jetzt habe ich eigentlich nichts. Es soll ja noch schlechter werden. Aber ich lasse den Kopf nicht hängen.“ Diesen Schluss wird sie bei ihrem Abstieg wie ein Gebet wiederholen. Elisabeth will arbeiten, unabhängig sein, leben, doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Sie wurde dabei gefasst, als sie ohne Wandergewerbeschein Galanteriewaren verkaufte, bekam dafür eine Geldstrafe. Die will sie nun bezahlen, um endlich wieder als Vertreterin etwas verdienen zu können. Dazu würde sie sogar im Voraus ihre Leiche an die Anatomie verkaufen, wenn sie dafür jetzt die nötigen 150 Mark bekäme. Doch helfen wird ihr niemand, sie wird nur ausgenutzt in ihrer Not, denunziert, vergewaltigt, inhaftiert.

Ohne Schonung, mit ungeheurer Energie spielt Andrea Wenzl diese Frau. Sie ist wörtlich genommen das Highlight eines rabenschwarzen Stücks – eine tolle Leistung, bis hin zur quälend langen Sterbeszene. Erst misslingt ihr der Freitod, sie wird aus dem Wasser gerettet. Dann sehen alle passiv zu, wie die halb Verhungerte an der Rampe fast an einer Semmel erstickt, die man ihr wie einem Haustier zugesteckt hat. Schließlich konstatiert die Gruppe im Hintergrund nüchtern, dass Elisabeth tot sei. Das Herz.

Diese Fokussierung aber hat ihren Preis. Thalheimer stellt fast nur Elisabeth ins Licht, etwa wenn sie von Dutzenden streng choreografierten Statisten in Uniformen, als Präparatoren mit blutigen Schürzen sowie als ein Dutzend ihrer Doppelgängerinnen umgeben ist. Zum Nebenbei wird in dieser kargen Konstellation leider auch das übrige Ensemble – zumeist als bloße Karikaturen angelegt und nicht viel mehr als Chargen. Merlin Sandmeyer als Schupo, der mit Elisabeth ein Verhältnis beginnt und sie fallen lässt, als es um seine Karriere geht, muss die absurdesten Verrenkungen vollführen. Auf Übertreibung sind auch Tino Hillebrand als tollkühner Lebensretter, Hermann Scheidleder als Invalider, Irina Sulaver als leichtes Mädchen und Robert Reinagl als der Baron mit dem Trauerflor getrimmt. Sie beherrschen solche Gags. Auch Branko Samarovski, Falk Rockstroh und Marcus Kiepe wissen als Präparatoren bestens mit der beschränkten Mischung aus Aberwitz, Roh- und Gemeinheit umzugehen. Zurückhaltender spielen Michael Masula, Christoph Radakovits und Stefan Wieland die Ordnungshüter. Christiane von Poelnitz überzeugt als gnadenlose Gewerbetreibende, stark sind auch Peter Matić und Alexandra Henkel als überhebliches, letztlich ignorantes Amtsgerichtsratspaar. Daniel Jesch als Vergewaltiger hat ebenfalls eine der realistischeren Rollen.

Noch eine Untergeherin: Janis Joplin

In dieser Aufführung wurde also mit großer Besetzung geklotzt und stark auf Verfremdung gesetzt. Bert Wrede hat die düstere Stimmung musikalisch aufgepeppt (mit Rock-Klassikern von Janis Joplin, Led Zeppelin, Deep Purple). Zugleich aber huldigte Thalheimer in diesen rund 105 Minuten der Reduktion. Er hat eine zügige, fast expressionistische Version geschaffen, mit durchaus starken Momenten. Auf eines hat er nicht vertraut. Auf Horváths leise Lakonie. In dessen Anweisungen gibt es ein Wort, auf das man auf keinen Fall verzichten sollte: Stilleheißt es oft im Text, damit eine Ungeheuerlichkeit, die zuvor geäußert wurde, noch furchtbar nachhallen kann. Die Kunstsprache dieses Dichters ist verräterisch. Seine Figuren kämpfen angestrengt um den richtigen Ausdruck und liegen meist knapp daneben. Dazwischen aber passiert ihnen wie nebenbei immer wieder ein Satz, der die Wahrheit sagt. Damit sie richtig wirkt, braucht es auch Kunstpausen. Auf die hat diese Inszenierung großteils verzichtet.

„Glaube Liebe Hoffnung“ ist hier ein atemloser Horrortrip geworden, ein rockiger Totentanz aus postmodernen Zeiten, zurechtgeschnitten auf einen alles überstrahlenden Star. Gewagt. Aber auch gewonnen? Dem Applaus nach hat die Premiere dem Publikum jedenfalls ziemlich gut gefallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2018)

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