Diese alte Dame lässt Gegnern keine Chance

Eine zerstörerische alte Dame: Andrea Jonasson brilliert als superreiche Claire Zachanassian.
Eine zerstörerische alte Dame: Andrea Jonasson brilliert als superreiche Claire Zachanassian.APA/HERBERT NEUBAUER
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Andrea Jonasson spielt in der Titelrolle von Friedrich Dürrenmatts Welthit grandios, Michael König als ihr Gegenüber ist subtil. Regisseur Stephan Müller gelingt mit großem Ensemble eine packende Inszenierung.

Andrea Jonasson kannte den Dichter Friedrich Dürrenmatt noch persönlich: „Ich habe ihn als ganz wunderbaren Menschen in Erinnerung“, sagt die deutsche Schauspielerin laut Programmheft des Theaters in der Josefstadt über den 1990 verstorbenen Schweizer. Nie habe er mit ihr über seine Stücke gesprochen, vermutlich auch, weil er meinte: „Ich habe keine Stücke, die du in deinem Alter spielen könntest.“

Jetzt hat diese Diva mitten im Achten doch eine Traumrolle gefunden, in Dürrenmatts größtem Hit, der seit 1956 höchst erfolgreichen tragischen Komödie „Der Besuch der alten Dame“. Jonasson spielt ebendiese, die Multimillionärin Claire Zachanassian, geborene Wäscher, die einst in ihrer Heimatstadt, Güllen, von ihrem Freund Ill geliebt, geschwängert und verraten, dann von der Gesellschaft geächtet wurde. Da war sie erst 17. Sie verließ faktisch im Zwang das Land, ihr Kind starb, Claire wurde Prostituierte und schließlich eine durch viele Heiraten enorm erfolgreiche Geschäftsfrau.

Nach 45 Jahren kehrt sie nun mit ihrem Gatten Nummer sieben (Lukas Spisser) zurück, um Rache zu nehmen. Sie fordert von der Gemeinde, die sie feiern und dann abkassieren will, den Tod des einstigen Geliebten. Dafür soll Güllen „eine Milliarde“ erhalten. Das nennt die Dame Gerechtigkeit.

Rachetragödienkomödienposse

Für diese so lehrreiche wie heimtückische Rachetragödienkomödienposse ist Jonasson eine Idealbesetzung. Sie spielt ihre Stärken (gnadenlose Präsenz und eine Modulation, die vom gefährlich einschmeichelnden Gurren bis ans Schneidende reicht) so souverän aus wie Michael König die allmähliche Entwicklung eines Täters zum Opfer. Ill hat eine Untat verdrängt, wie er nun spät erkennt. Er scheint am Ende der Einzige zu sein, der bereut, zur Buße bereit ist. König spielt diese Ambiguität in mehr als zwei Stunden filigran – ein eitler Protz wird zum Leidensmann.

Bei der Premiere am Donnerstag war also ein fantastisches Gegensatzpaar zu bewundern. Regisseur Stephan Müller lässt ihm viel Raum, umgibt es mit einer Fülle josefstädtischer Charakterköpfe, die zuweilen ein bisschen zu stark ins reine Posieren verfallen. Müller fügt auch die aktuelle Medienwelt in ihrer totalen Nervosität hinzu. Dort ist die Phrase Grundprinzip. Der Besuch der mörderischen, mit Prothesen bestückten Oligarchin in elegantem Schwarz, die über Mittelsmänner die halbe Stadt aufgekauft hat, um der Hölle Rache auskosten zu können, wird krawallhaft von Society-TV begleitet. Gekonnt werden Privatsender von heute karikiert. Martina Stilp und Alexandra Kismer wirken als Reporterinnen in ihrer schmeichlerischen Sensationslust so vertraut, als ob man sie beim Zappen vom richtigen Leben ins falsche seit Langem kennte.

Jeder hier kann zum Mörder werden

Sophie Lux hat ein komplexes Bühnenbild geschaffen, mit aufwendigen Video-Schattenspielen. Wie von Zauberhand entstehen auf einem formatfüllenden transparenten Screen Fronten von Kameras oder ganze Wälder. Das Mobiliar hingegen ist simpel – ein langer Block aus Holz mit Kuben als Sitzen, eine mit Holz umrahmte Klappe für den Keller. Auf mehreren Bildschirmen in Serie werden hoch oben die Menschen gnadenlos enthüllt – der manipulative Bürgermeister (Siegfried Walther), der bigott-fromme Pfarrer (Johannes Seilern), der pedantische Lehrer (André Pohl), der für jedes Gutachten zu habende Arzt (Alexander Strobele) und der zu jeder dubiosen Amtshandlung bereite Polizist (Oliver Huether). Sie sind so konsumgeil wie dienstbar und haben alle das Zeug zu willigen Vollstreckern. Die Gemeinde liegt darnieder, die Firmen sind pleite, die Arbeitslosigkeit ist die höchste im Land.

Abflug mit der Concorde samt Sarg

Nicht einmal seiner Familie sollte Ill vertrauen. Auch in seiner Frau (Elfriede Schüsseleder) kocht es, und die Kinder (Gioia Osthoff, Tobias Reinthaller) sind flexibel. Die Anpassung zeigt sich im Detail: Fast alle tragen schließlich geckenhaft gelbe Schuhe. Jeder hier kann zum Mörder werden, lautet die dominante Botschaft dieses zum Nihilismus neigenden Dramas über Schuld und Schulden, in dem differenziertere Betrachtungen zu Begriffen wie Gerechtigkeit, Sühne oder gar Gnade nur leise mitschwingen. Das sind die Momente, in denen König brilliert. Am Ende, bei der Hetzjagd, sieht sein Ill weltmüde aus, wenn schon nicht erlöst.

Diese alte Dame lässt ihren Gegnern keine Wahl. Sie rauscht schließlich per Überschalljet (eine alte Concorde in einem weiteren gigantischen Schattenriss-Video) mit dem Sarg ab, den sie vorsorglich nach Güllen mitgenommen hat – nunmehr inklusive des Ermordeten, der zuvor zum Chef der Stiftung gemacht wurde. Der Arzt konstatiert Herzversagen. Das viele Glück nach dem Wiedersehen habe Ill umgehauen, lautet die offizielle Meldung. Böser kann man die Wahrheit wohl nicht begraben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2018)

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