Volkstheater: Ausgelassene Tänzchen für all diese Brandstifter

Günter Franzmeier als Biedermann und Steffi Krautz als Babette
Günter Franzmeier als Biedermann und Steffi Krautz als BabetteAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Premiere im Volkstheater. Viktor Bodó inszeniert Max Frischs »Biedermann und die Brandstifter« kurzweilig und überdreht.

Seit der Uraufführung 1958 im Zürcher Schauspielhaus sind Generationen von Schülern durch den Text von „Biedermann und die Brandstifter“ gejagt worden. Viele von ihnen wurden von ihren Pädagogen wohl auch gefragt, was die tiefere Bedeutung eines „Lehrstücks ohne Lehre“ sei, wie sein Autor, Max Frisch (1911–91), im Untertitel gemein anfügte. Wenn dieser Gottlieb Biedermann tatenlos zusieht, wie die Unholde das Abfackeln seines reichen Bürgerhauses vorbereiten, wie er ihnen am Ende sogar die Streichhölzer reicht, mit der sie die Tat vollenden, dann muss er doch auch ein Motiv haben.

Man kann als Vorzugsschüler anführen, dass Frisch mit den Brandstiftern Kommunisten gemeint habe, die Europa überrollt haben. Dazu gibt es einen Kontext. Oder Nazis. Aber was sagt der Text dieser „Tragikomödie ohne Tragik“? Eine Schlüsselszene wurde bei der Inszenierung von Viktor Bodó, die am Freitag im Wiener Volkstheater Premiere hatte, trefflich herausgespielt: Die Vorbereitungen für den Brand sind schon getroffen, rote Benzinfässer diverser Größen auf den Dachboden geschafft. Das Essen ist bereitet, da tritt Biedermann, von Günter Franzmeier mit wachsender Verzweiflung gespielt, an die Rampe: Das Publikum könnte über ihn denken, was es wolle, aber seit wann genau wisse es denn, dass da Brandstifter seien? So ein Verdacht komme doch langsam und plötzlich. „Was hätten Sie denn getan, Herrgottnochmal, an meiner Stelle? Und wann?“

Feuer am Dach. Bodó und sein Ensemble haben vieles richtig gemacht. Er hält sich in der üppige 105 Minuten langen Aufführung meist an den Text der sechs Szenen. Erst wirkt sie fast wie vom Blatt gespielt, doch nach und nach übernimmt die hochmusikalische, einfallsreich choreografierte Slapstick-Show des ungarischen Regisseurs das Kommando, die man von seinen besten Arbeiten aus dem Schauspielhaus Graz kennt.
Von Anfang an ist Feuer am Dach. Für das Bühnenbild (von Juli Balázs) gab es Fleißaufgaben: Schon vor Betreten des Volkstheaters sieht man aus der Ferne ein angesengtes Transparent, das „Biedermann“ ankündigt. In Ölfässern vor dem Eingang brennt es, rot flackert es aus den Fenstern oben. Lodernde Flammen. Alarmzustand! Als Biedermann sich, ehe er zu reden beginnt, eine Zigarre anzünden will, eilt die Feuerwehr herbei, verhindert das. Nils Hohenhövel und Stefan Suske spielen diesen löschenden Chor. Sie sprechen gebunden, als wären sie einer antiken Tragödie entsprungen, und agieren wie Komiker aus der Stummfilmzeit. Ein elegantes Wohnzimmer fällt ihren Sicherheitsvorkehrungen zum Opfer.

Auch die Musik (Klaus von Heydenaber) ist eine Reverenz ans Kino. Da wird lustvoll Film noir imitiert. Mehrfach träumt Biedermann davon, seiner Frau (Steffi Krautz als starke Persiflage einer echten Dame) das Genick zu brechen. Auch eine zweite Dame behandelt er ziemlich schlecht. Claudia Sabitzer hat als Witwe nichts zu sagen, aber es bewegt, wenn diese Bittende von Biedermann immer wieder abgeschoben wird, stets zurückkehrt, schließlich sogar trotzig beim finalen Festmahl sitzt. Und es schockiert gehörig, wenn die drei Verbrecher ihr blutrünstig den Garaus machen.

Zu jeder Szene gibt es diese Zwischenspiele, die vom zerstörerischen Einsatz des Chors bis zum Ballett reichen, an dem sich schließlich fast alle beteiligen. Allerlei Sportarten werden durchexerziert, inklusive Cheerleader. Das wirkt erheiternd, aber man kann den Spaß auch übertreiben und allzu sehr vom Stück ablenken. Besonders gelenkig und erfrischend komisch zeigt sich in diesen Nummern Evi Kehrstephan als Dienstmädchen Anna, mit interessanten neuen Facetten. Wird sie etwa gar zur Komplizin der Brandstifter?

Diese sind originell besetzt. Als korpulenter Exringer Schmitz verströmt Thomas Frank gemütliche Brutalität sowie ein Übermaß an schlechten Manieren. Jeder Fauxpas sitzt. Gábor Biedermann ist die brandgefährliche Freundlichkeit in Person. Und Jan Thümer wirkt am Rande so versponnen, wie man sich engstirnige Ideologen nur vorstellen kann. Er distanziert sich am Ende von der Tat. Weh uns! Das Stück ist also aktuell. Was sagt uns „Biedermann“? Der Blödsinn, auch Schicksal genannt, bedroht uns immer wieder neu. Starker Applaus für eine gelungene Katastrophenübung.

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