Festwochen: Es rumort in der Seele

Ein libanesisches Trio treibt sich in „Borborygmus“ in depressive Taumel voller Poesie.

Der Titel ist unaussprechlich, und er verheißt Unverdauliches: Borborygmus ist jenes kollernde und gurrende Geräusch, das Gase im Darm auslösen. Schwer im Magen lag vielen Premierenbesuchern auch der zunehmend abgründige Textschwall, den das libanesische Autoren- und Schauspielertrio im Theater Akzent in ihre Hirne und Herzen trichterte.

Die Prosafetzen, im atemlosen Stakkato vorgetragen von Mazen Kerbaj, Lina Majdalanie und Rabih Mroué, schwelgen in Lebensekel, Todesangst und Sehnsucht nach Selbstauslöschung. Zudem auf Arabisch (mit Übertiteln), wie das Gebet eines gottlosen Muezzins, der seine nihilistische Botschaft unters Volk bringen will und darob selbst ganz depressiv wird.

Aber ach, geheimnisvolles Wunder der Verwandlung in Kunst: Diese Tiraden und Litaneien stecken voll nachtschwarzer Poesie, grimmiger Komik und tiefer Menschlichkeit. Da wirkt alles echt, nichts aufgesetzt. Da öffnen sich zwei Männer und eine Frau, bis man in die Schlünde ihrer Seelen blickt. Sie machen sich nackt und lassen ihre Wundmale befühlen – wenn sie ihre Ängste vor dem Älterwerden gestehen, ihre verstorbenen Nächsten samt Todesursache auflisten oder an den noch Lebenden verzweifeln. Diese Passagen mittlerer Melancholie steigern sich zur furiosen Anrufung eines Dämons des Nichts und einer Fantasie vom Verzehr und Verdauen des eigenen Körpers.

Aber weil das eben nicht die ganze Wahrheit vom Leben wäre, wird die apokalyptische Vision kontrastiert mit Episoden voller Licht und Wärme: ein Trinkgelage, in dem die drei auf alle anstoßen, die ihnen lieb sind (samt Festwochen-Macher und Publikum); und am Ende ein Blick zurück auf die Jugend in Beirut, die bei allen Sorgen voller Übermut und Hoffnung war. Das könnte larmoyant, ja kitschig sein. Aber nein: Diese Antihelden wahren ihre stille Würde. Kleines Theater, ziemlich groß.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2019)

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