Sophie Hunger: "Dialekt ist musikalisch"

Die Schweizer Pop-Hoffnung Sophie Hunger erzählt, was sie an der Pussy-Riot-Empörung stört und wo sie Gemeinsamkeiten zwischen Madonna und einer Bank sieht.

TIPP

Manche Künstler sind deprimiert, wenn sie ihren großen Wurf hinter sich gebracht haben. Wie geht es Ihnen nach Fertigstellung Ihres vierten Albums?

Noch nie war ich so zufrieden wie mit diesem Album. Es ist meine Lieblingsplatte. Ich bin total erleichert.

Gab es eine zentrale Idee?

Nicht wirklich. Ich bin einfach Gedanken gefolgt, die ich interessant fand. Zum ersten Mal hab ich mir richtig Zeit genommen, dadurch ist viel Lust entstanden.

War also Geld kein Problem?

Doch, ist es eigentlich immer. Aber ich habe Vertrauen, dass es wieder zurückfließt. Wir haben alles, was wir haben, in dieses Projekt gesteckt, und jetzt hoffen wir.

Sie singen sowohl Deutsch wie Englisch, was normalerweise die Stimmigkeit eines Albums unweigerlich zerstört. Warum bestehen Sie darauf?

Da muss ich mich schon wieder auf meine Lust ausreden. Die deutschen Silben sind beim Singen widerspenstiger. Das reizt mich. Wenn es gelingt, dann liebe ich es über alles.

Ein Song ist diesmal sogar in Schweizer Mundart gehalten. Flutschte das besser?


Der Dialekt ist womöglich musikalischer als die Schriftsprache.

Was macht einen guten Song aus?

Dass man ihn unendlich oft spielen kann, ohne dass er sich abnützt.

Sind sperrige Melodien letztlich nicht dankbarer als das Einfach-ins-Ohr- Gehende?

Ich mache da nicht so einen Unterschied. Mir sind alle Melodien gleich lieb.

Ist das Komponieren ein komplizierter Prozess?


Am Anfang ja, dann kommt aber verlässlich der Moment, an dem die disparatesten Elemente wie von allein ineinanderlaufen. Improvisation ist für mich immens wichtig. Dem Zufall kann man nicht genug Raum geben, vor allem bei der Aufnahme. Jede Kunst entsteht ja durch ein Zusammenspiel von Wille und Zufall. Im Studio sind die großen Kräfte technischer Natur. Ich habe lange gebraucht, um damit umzugehen zu lernen.

Stört Sie die Anwesenheit von Technikern im Studio?

Manchmal ist es irritierend, aber im Grunde will ich mich darüber nicht beklagen. Es wäre fast so, wie wenn ein Fußballer sich darüber beschweren wollte, dass es schwierig sei, einen Elfmeter zu schießen, weil so viele Menschen zusehen. Das ist halt der Beruf.

Worum geht es im Song „ReReRevolution“?

Der leicht paranoide Protagonist hat unbändige Lust auf Revolution. Er geht auf die Straße und fragt: „Was ist die Losung?“ und „Wer führt uns an?“ Am Ende merkt er, dass die Stimme, die er hört, nur seine eigene ist.

Sind wir schon so weit, dass jeder gesellschaftliche Veränderungswille absurd geworden ist?

Nein, das glaube ich nicht. Musik war immer schon Ausdruck eines kollektiven Gefühls. Sie kann sicher eine Stimmung verstärken oder überhaupt erst sichtbar machen.

Sie haben in der „Neuen Zürcher Zeitung“ gesagt, dass Sie die Empörung im Falle Pussy Riot für billig erachten. Könnten Sie das ein wenig erläutern?

Die Zustände in Russland sind schrecklich, aber diese modische Empörung erreicht nie eine höhere Ebene. Wer denkt denn wirklich über die Unzumutbarkeiten in der russischen Gesellschaft nach?

Trotzdem heften sich manche Künstlerkollegen ihren Protest aufs Fähnchen. Was halten Sie von Madonnas Pseudoengagement im Falle Pussy Riot?

Madonna ist wie eine Bank. Ihr großes Problem ist, dass sie keinen Inhalt hat. Schon ihr ganzes Leben lang fischt sie sich fremde Themen und zieht sich dann T-Shirts mit Slogans an. Durch so läppische Gesten wird sie sicher nicht zur Verteidigerin der Meinungsfreiheit.

Ist es Ihnen auch unerträglich, dass man Madonnas Identitätslosigkeit wie ein positives Charaktermerkmal verkauft hat?

Absolut. Die Frau hat sich nie selbst neu erfunden. Sie hat immer irgendwelche Leute engagiert, die sie in neues Licht gesetzt haben. Von der Substanz her war da nie so viel, dass man hätte sagen können, sie hätte sich neu erfunden.

Sie haben kürzlich einen Förderpreis der Stadt Zürich bekommen. Solche Preise sind ein europäisches Phänomen. In anglosächsischen Ländern herrscht dagegen schwerster Verdrängungswettbewerb in den kreativen Bereichen, und es kommen meist überzeugendere Werke heraus. Wie sehen Sie dieses Phänomen?

Der mir verliehene Förderpreis macht vielleicht drei bis vier Prozent eines Jahresbudget aus. Er hilft ein wenig, aber es ist sicher nicht so, dass ich deshalb schlaffer werde. Und in Großbritannien und den USA ist Musik ein wirklich großes Business. Da werden die Künstler gleich direkt von der Wirtschaft unterstützt. Außerdem werden sie dort in aggressiver Weise von ihren Gewerkschaften geschützt. Wenn ich als Schweizer Musikerin eine Tournee in den USA machen will, dann muss ich allein 2500 Franken fürs Visum bezahlen. Das ist totaler Protektionismus.

Was erreichen Sie als Sängerin im Idealfall?

Die völlige Identifikation des Hörers mit mir in der Rolle der Songprotagonistin. Ich schreibe ja kaum etwas Autobiografisches, schlüpfe selbst in Rollen.

Was war die größte Überraschung Ihrer Karriere?

Dass ich mich vom Klischee verabschieden musste, dass einen Leute bei den großen Plattenfirmen ausnützen wollen. Das war kindisch.  Ich respektiere heute viele Menschen im Business, weil ich sehe, dass das oft Idealisten, Musikfreaks sind, die Künstlern helfen.

Sophie Hunger - „The Danger of Light“ ist das vierte Album der 30-jährigen Schweizerin, am 22. 11. zu Gast im Konzerthaus.

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