Pop

Subversive Sehnsucht: Dagoberts naive Lieder

 Schnulzen-Dandy aus den Bergen: Dagobert.
Schnulzen-Dandy aus den Bergen: Dagobert.(c) Fabian Frost
  • Drucken

Ein Schlagersänger neuer Art gastierte im Wiener Brut. Dagobert ist ein Simplicissimus, der von Doris Day und Daisy Duck schwärmt und sich doch mit keiner von ihnen einlassen mag. Seine Musik ist karg, der Auftritt ist eine Selbstentblößung umfassender Bedürftigkeit.

Mit heutigen Augen betrachtet mutet es seltsam an, dass sich ausgerechnet in den entspannten Siebzigerjahren viele in die illusionäre Gegenwelt des Schlagers flüchteten. Der Philosoph Robert Pfaller hat vielleicht recht, wenn er folgert, dass „nur ein geträumtes Leben, das sich vom gelebten unterscheidet, in der Lage ist, uns in diesem verharren zu lassen“. Auf die Welt des Schlagers der 70er-Jahre trifft dieser Befund auf jeden Fall zu. Schlagergötter wie Christian Anders und Peter Alexander mochten sich sängerisch noch so romantisch verrenken, ihre Kunst war ihren Lebensrealitäten diametral entgegengesetzt.

Die Folge solcher Unaufrichtigkeit: Ein ganzes Genre kam unter Generalverdacht. Der Schlagersänger, hieß es, produziert gewerbsmäßig Unaufrichtigkeit. Wer sich also nicht bewusst unter den Schutzschirm der Lebenslüge begeben wollte, musste Schlager seither als etwas Verwerfliches sehen. Dennoch kommt seit einigen Jahren Bewegung in festgefahrene Fronten. Ein Dieter-Thomas Kuhn lackierte klassische Schlager mit leichter Ironie – und schon jubelten ihm die Hipster zu. Ein Alexander Marcus mischte gewitzt Schlager, Elektronik und absurde Texte und gewann damit studentisches Publikum.

Mit dem Schweizer Dagobert betrat heuer eine abermals neue Spezies den Bereich des subversiven Schlagers, eine Art Simplicissimus, dessen Lebensweg anders als jener der Romanfigur in der Einsiedelei begann, statt dort zu enden. Dagobert will die Welt schließlich mit Frohbotschaften beglücken. Trotz abenteuerlicher Biografie ist er authentisch.

Lektüre von Nietzsche und Mickey Maus

Nach der Matura in der ungeliebten Schule brauchte er eine Auszeit. „Ich habe mein Leben gehasst und mir geschworen, nie mehr Dinge zu machen, die von mir erwartet werden, die ich aber nicht will.“ Deshalb hat er nie einen Brotjob angenommen, war zwei Jahre eine Art Jungsandler. Später zog er sich auf einen Berg zurück. In der nur 25 Einwohner fassenden Gemeinde Panix in Graubünden lebte er isoliert, mit geringen Mitteln. Dort las er Nietzsche, weil der „ein paar Dörfer weiter gewohnt hat“, und Mickey-Maus-Hefte. Im Stillen feilte er an seiner Musik.

Nach fünf Jahren ging er nach Berlin und machte Ernst mit der Musik. Heuer erschien sein Debütalbum beim Goldenen-Zitronen-Label Buback. Ornamentiert von schlierigen Keyboard-Motiven und Chören schmusen seine Schlager eine große, unerwiderte Liebe an. „Die Sehnsucht und das Warten sind das Glück in mir“, singt er leicht resignativ, changiert zwischen Schlager und Pop. Auf der Bühne des Wiener Brut demonstrierte er, dass er über ein viel weiteres Spektrum verfügt. Manches klang nach Kraftwerk, anderes war anarchisch blubbernder Elektro-Pop.

Dagobert verteidigt – im Leben wie im Lied – die ihm innewohnende Naivität ähnlich bockig wie US-Sänger Jonathan Richman. Er verzichtet auf jeglichen doppelten Boden. Die Musik ist karg, die Texte strahlen eine Emotionalität ab, die nicht davor resigniert, eventuell belächelt zu werden. Dagoberts Performance: eine einzige Selbstentblößung, Eingeständnis umfassender Bedürftigkeit, die letztlich doch nicht aus der Welt zu schaffen ist. „Ich bin zu jung für deine Pläne“, beschied der 31-Jährige interessierten Damen. Weiters schwärmte er vom unerreichbaren Weiblichen in Gestalt von Doris Day und Daisy Duck. Am Ende tanzte selbst der hinfällige Hermes Phettberg ein paar Runden mit dem Merchandise-Verkäufer. Angst vor dem Spaß? Die wollte an diesem Abend niemand haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.