Pop

Der bärtige Phönix erhob sich in ganz Europa

(c) REUTERS (TOBIAS SCHWARZ)
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Songcontest. Der Sieg der glaubhaften Kunstfigur Conchita Wurst war eindeutig: Zumindest bei den Zuseherstimmen gab es kein signifikantes Ost-West-Gefälle. Das musikalische Niveau des Wettsingens war erstaunlich hoch.

Yes, I do“, antwortete Conchita Wurst, noch Tränen der Freude in den Augen, im schönsten britischen Englisch auf die Frage, ob sie gleich nach ihrem Triumph etwas sagen wolle: Sie widme diese Nacht allen, „who believe in a future of peace and freedom. We are unstoppable“. Diese Widmung mache den Sieg „doppelt wertvoll“, sagte Bundespräsident Heinz Fischer am nächsten Morgen im APA-Interview: Es sei ein Sieg für Vielfalt und Toleranz in Europa.

Ähnlich äußerten sich am Sonntag die Politiker aller Parteien, so meinte Grünen-Chefin Eva Glawischnig nicht ohne Witz, Österreich sei eben Heimat großer Söhne und Töchter. Er stehe nicht an zu gratulieren, schrieb sogar H.C. Strache, der Conchita Wurst vor dem Finale kritisiert hatte. Und Harald Vilimsky, EU-Spitzenkandidat der FPÖ, sagte in der ORF-„Pressestunde“ eher kühl: „Aus meiner Sicht ist das in Ordnung, wenn da jemand gewinnt und sich die Leute freuen.“ Er persönlich sei eher Fan von Udo Jürgens, weil der deutsch singe...

Die Politikerkommentare sind ernst zu nehmen. Der Songcontest, so spaßig er sein mag, spiegelt politische Emotionen, Befindlichkeiten in Europa. Es ist nicht bedeutungslos, dass die griechischen Teilnehmer mit zornigem Timbre „Rise Up“ sangen; dass die nette Neo-Hippie-Frau Molly aus Großbritannien in „Children Of The Universe“ mehrmals „Power to the people“ forderte; dass Firelight aus Malta ihr „Coming Home“ den Immigranten widmeten. Und es wird auch europaweit als Zeichen empfunden, dass Österreich zum ersten Mal seit 1966 just mit einem offen homosexuellen Mann, der eine bärtige Frau verkörpert, gewonnen hat. Das sei „eine Ohrfeige für alle Homophoben in Europa“, kommentierte etwa die norwegische Zeitung „Aftenposten“, die spanische „El País“ sah einen „begrüßenswert andersartigen Erfolg“.

Großes Pathos: „Once I'm transformed“

Der Erfolg von Conchita Wurst liegt aber auch daran, dass die Form des Songs perfekt zum Inhalt passt: „Rise Like A Phoenix“ – mit den Schlüsselzeilen „Once I'm transformed, once I'm reborn“ – schildert einen Ausbruch, einen Aufbruch, den Triumph einer Selbstfindung, und zwar ohne Scheu davor, musikalisch dick aufzutragen. Auch wenn man ihn kitschig finden kann: Dieser Song ist intensiver als fast alles, was man heute in den Hit- und Tagesbegleitradios hört.

Der Songcontest, der in den Achtziger- und Neunzigerjahren vor allem anachronistisch und nur mit viel Ironie zu genießen war, ist vielleicht nicht wie ein Phönix aus der Asche gestiegen, aber er hat in den letzten Jahren an musikalischer Qualität gewonnen. Manches wäre für Ö3 wohl zu anspruchsvoll und auf FM4 gut vorstellbar: der zweitplatzierte niederländische Beitrag etwa, ein düsteres Country-Duo mit eindringlicher Hawaiigitarre. Oder „Something Better“ aus Finnland: Drama-Pop zwischen U2 und Roxy Music. Expressiv auch Aram MP3 aus Armenien, der mit heftigem Zeigefinger-Einsatz „You're not alone!“ rief. Gut, über sein Lederwams konnte man schmunzeln, so wie über die Tätowierungen und den tiefen Blick des norwegischen Tischlers, der mit seiner gar nicht zu seinem Aussehen passenden ätherischen Stimme ein bisschen an James Blake erinnerte. Aber explizit peinliches Outfit ist beim Songcontest ebenso selten geworden wie reine Blödelei. Nur „Moustache“ von Twin Twin – mit dem immer unangenehmen Ruf „Are you ready to party tonight?“ – passte in diese Kategorie und kam auch auf den letzten Platz.

Polen sagen: Wodka ist besser als Gin

Wirklich witzig dagegen war der polnische Beitrag „My Słowianie (We Are Slavic)“, ein leicht selbstironisches Lob des slawischen Blutes, inklusive der Behauptung, dass Wodka besser als Whiskey und Gin sei, präsentiert von frechen Mädchen in Tracht und mit Zöpfen, musikalisch zwischen Folk-Pop und Ethno-Punk. Ähnlich lassen sich einige Beiträge beschreiben – etwa die aus Malta und Deutschland –, wobei man den Folk-Elementen durchaus nicht immer anhört, aus welchem Land sie kommen. Genauso wenig wie man den russischen Zwillingen ihre Herkunft anhörte: Sie klangen ziemlich schwedisch, also wie Abba. So scheint zumindest musikalisch ganz Europa zusammenzuwachsen, bei bewahrter Vielfalt. An der Dominanz der englischen Sprache (diesmal in 21 von 26 Songs) dürfte aber nicht zu rütteln sein, auch wenn die Franzosen trotzig darauf bestehen, ihre Jury-Votings auf Französisch durchzusagen.

Und die vieldiskutierten Unterschiede zwischen West- und Osteuropa? Findet die Dragqueen Conchita Wurst in Weißrussland, Russland und Aserbaidschan wirklich signifikant weniger Akzeptanz als etwa in Großbritannien oder Spanien? Erstaunlicherweise nur bei den Jurys. (Auch die deutsche vergab übrigens wie die russische null Punkte.) Im Televoting ist kaum ein Ost-West-Gefälle festzustellen. Die dramatische Kunstfigur, in die sich der Wirtshaussohn aus Bad Mitterndorf so erfolgreich transformiert hat, glänzt vom Atlantik bis zum Ural.

DIE ERSTEN 13 PLÄTZE

1. Österreich: Conchita Wurst, „Rise Like A Phoenix“, 290 Punkte (4.-beste Wertung überhaupt)
2.Niederlande: The Common Linnets, „Calm After The Storm“, 238 Punkte
3.Schweden: Sanna Nielsen, „Undo“, 218 P.
4.Armenien: Aram MP3, „Not Alone“, 174 P.
5.Ungarn: Kallay-Saunders, „Running“, 143 P.
6.Ukraine: Marija Jaremtschuk, „Tick-Tock“, 113 P.
7.Russland: Tolmatschowa-Schwestern, „Shine“
8.Norwegen: Carl Espen, „Silent Storm“
9.Dänemark: Basim, „Cliché Love Song“
10.Spanien: Ruth Lorenzo, „Dancing In The Rain“
11.Finnland: Softengine, „Something Better“
12.Rumänien: Paula Seling & Ovi, „Miracle“
13.Schweiz: Sebalter, „Hunter of Stars“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2014)

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