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Jazz & Lyrik: Blutrausch mit Zigarettenpause

GERHARD RÜHM
GERHARD RÜHM(c) APA (christine kšnig galerie)
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Gerhard Rühm und das „Vienna Improvisers Orchestra“ im Wiener Porgy & Bess: brutal und schön.

Im Zentrum der Bühne verrenkte sich Michael Fischer, Kondukteur des Vienna Improvisers Orchestra, abenteuerlich: Mit unsichtbarer Spachtel homogenisierte er die raue Klangwand, die sein vielköpfiges Ensemble errichtete. Es war an Gerhard Rühm, dem gefeierten Mitbegründer der Wiener Gruppe, seine Art von Blumentapete darauf zu applizieren: behutsam, aber unerbittlich. Vor den provokant weiblichen Formen des Cellos saß der Poet beamtengleich am Tischchen, zu seinen Füßen ein Nylonsackerl, in dem ein Menagereindl zu vermuten war. Nichts war's mit friedvoller Erotik des Alters, hier wurde mit der Kampfrhetorik der hormonell Geplagten getändelt. „Geschlechterdings, eine Orgie“ rief Rühm scharf ins Mikro: „Der Anzug scheuert in die Schürze, der Apfel beißt in die Birne, der Auspuff keucht in die Lampe...“

Das Orchester ächzte

Seine Papierchen raschelten, das Orchester ächzte, das Publikum empfing die Worte wie Hostien. Da balzten die Phoneme, drangen in Ritzen, verschwanden letztlich im Nass. Dann schien das Orchester postkoitale Müdigkeit zu erfassen. Kurze Stille, dann ging es mit neuer Dynamik weiter: „Blutrausch mit Zigarettenpause – eine moderne Moritat“. Die gezierten Kakofonien schmiegten sich komplizenhaft ans metzelnde Messer des Robert H., dessen Fall hier ästhetisch aufbereitet wurde. Mit anheimelnder Stimme näherte sich Rühm der Brutalität an. Die drei Sängerinnen fungierten als hämisch kommentierende Erinnyen.

Mit „Wahre Raucherballade“ und „Seelsorge – ein häufiges Gelegenheitsgebet“ arbeitete Rühm weitere beliebte Chronikthemen auf. In „Gefangen in Zeit und Raum“ ironisierte er den Philosophenjargon. Auch die Kunst bekam ihr Fett ab, mit Formulierungen wie „Die Kunst, im Nachthemd in die Oper zu gehen und nicht im dritten Akt einzuschlafen“. Fein war auch die „Astronomische Meditationslitanei“, ein lyrisches Spiel mit den Entfernungen der Erde zum Mond und zum Mars. Die vielen „Zum“ klangen irgendwann wie das „Om“, mit dem Buddhisten dem Urklang des Alls nachsinnen. Mit einem subversiven Remix der Bundeshymne kam Rühm wieder in dieser Welt an: tosender Applaus für einen gelungenen Abend. sam

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2009)

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