Richard Weize: „Die Bärenfamilie hat mir einfach gefallen“

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Vom Weinhändler zum Labelgründer: Urgestein Richard Weize über Visionen und Versionen.

Den Bären als Wappentier tragen nicht bloß Berlin und Bern. Das pelzige Tier war schon in prähistorischer Zeit von kultischer Bedeutung. Als Opfertier galt er als Mittler zwischen Gott und den Menschen. Die Germanen verwendeten Zähne und Klauen als Amulette. In der griechischen Mythologie tragen die Dienerinnen der Göttin Artemis den Namen Arktoi (Bärinnen). Nicht einmal Kirchenväter, die im Bären eine Inkarnation des Teufels sahen, konnten sein gutes Image ruinieren. Die tiefenpsychologischen Feinheiten, warum der 1945 geborene Richard Weize, den Bären 1975 zu seinem Firmenlogo gemacht hat, kann man mit ihm nicht erörtern. Er gibt bloß Auskunft darüber, wie es zur Familie gekommen ist, wo er doch zunächst nur Bear Records gründen wollte. „Ich blätterte zufällig in Meyers Konversationslexikon von 1898 und entdeckte diese Bärenfamilie, die mir gleich gefiel.“ Weize, als Sohn einer Buchbinderfamilie in der norddeutschen Provinz großgeworden, suchte eine Art Nervenkitzel. Er wurde im
frühen Rock ’n’ Roll fündig. „Bill Haleys ,Rock Around the Clock‘ wurde zur Initialzündung für mein Interesse an Musik. Geld hatte ich nicht viel, Ahnung von Musik noch weniger. Zunächst war im Laden nur eine andere Single von ihm vorrätig. Ich war ein wenig enttäuscht, griff dennoch zu. Auch dieser Song tat mir gut. Es war von Anfang an eine Sucht, die mich trieb.“ Der junge Weize machte sich schlau, wie er günstig an Platten kommen könnte. Bald bediente er sich einer Strategie, die auch Rauschgiftdealer anwenden: Wenn er zehn Platten mit kleiner Gewinnspanne an seine Freunde verkaufen könnte, würde ihn das eigene Exemplar nichts kosten. Also nützte er sein merkantiles Talent, um den Grundstein für eine Sammlung zu legen, die heute 30.000 Langspielplatten, 100.000 Singles und unzählige CDs und Schellacks umfasst. Zeit, über die Theorie oder die psychischen Bedingungen des Sammelns nachzudenken hatte Weize nie viel. Was wurde nicht schon alles gesammelt im Lauf der Geschichte?

Im Grunde geht es dabei um Übertragung. Totenschädel der Feinde wurde gesammelt, Reliquien von Heiligen – alles nur, damit deren Kraft und Licht, deren geistige Macht und Wirksamkeit auf den Besitzer überwechselt. Sammeln war eine frühe Form der Beruhigung von Ängsten. Darüber hinaus wirkt so eine Ansammlung von Objekten als unbewusste Absicherung gegen Hoffnungslosigkeit und Verlassenheit. Sie sind magische Mittel, um existenzielle Zweifel zu verleugnen. Die Gefühle, die sich bei der Anschaffung einstellen, reichen von Schuldgefühlen bis zu glückseliger Befriedigung.

(c) Bear Family

Frauensammler Don Juan. Werner Muensterberger wagt sich in seiner feinen Betrachtung „Sammeln – eine
unbändige Leidenschaft“ in die letzten Verästelungen der menschlichen Psyche vor. Er vergleicht den Vorgang mit den Machenschaften des Don Juan. „Vieles, was über Don Juan gesagt worden ist, kann auch für hingebungsvolle Sammler gelten. Die Vertracktheiten des Findens, das Entdecken und Erringen, die Schachzüge, um eine Anschaffung an Land zu ziehen. Oder die zufälligen Umstände des geglückten Zuschlagens, die Energie, die zum Erwerb des Objekts aufgewendet wird und die Zeitverschwendung. Das Beschäftigtsein mit der Herausforderung, mit Rivalität und Eifersucht – alle diese Gefühle haben der begeisterte Sammler und Don Juan gemeinsam.“ Mit dem Beginn des digitalen Zeitalters ist das Sammeln von Gegenständen ins Hintertreffen geraten. Den Digital Natives fehlt jedes Verständnis für die Passion des Sammelns. Sie machen sich lustig über jene, die Materialien anhäufen. Weize will diese Ignoranz, die sich als überlegenes Wissen tarnt, nicht verstehen. „Die Jugend heute glaubt, das alles erhältlich und möglich ist. Aber so ist es nicht. Die Probleme können schon damit beginnen, dass du eine spezielle Schraube brauchst und bemerkst, dass diese Haushaltsläden, die es früher gegeben hat, verschwunden sind. Die Beratung fehlt, wenn man irgendwo hingeht. Das Kaufen ist ein seelenloser Prozess geworden.“ Der Ideologie der Wegwerfgesellschaft unterwirft er sich nicht. „Diese Idee des ewigen Wachstums kann nicht funktionieren. Heute wird einem alles verkauft, aber nichts hat mehr Wert. Die
Kultur des Reparierens ist tot. Saba versorgte früher die Mehrzahl der Bundesbürger mit Fernsehern. Wenn da einmal einer Sonntagmorgen kaputt war, hatte man das Gefühl, dass ,Herr Saba‘ am liebsten sofort vorbei-
gekommen wäre, um ihn zu reparieren.“ In seiner vierzigjährigen Arbeit mit Bear Family Records ging es Weize immer darum, Verlorenes, Vergessenes und Missachtetes in neues Licht zu setzen.

(c) Bear Family

Bob Dylan ruft an. Was Mitte der Siebzigerjahre als Versandhandel begann, wurde bald zu einem international anerkannten Reissue-Label. „Ich wollte perfekt sein.
Daraus ergab sich, dass ich meist besser war als alle anderen.“ Mit liebevoll zusammengestellten CD-Boxen, die meist Bücher enthielten oder zumindest ein 80-seitiges Booklet, erforschte Weize amerikanische Genres wie Country, Rockabilly, Rock ’n’ Roll und Doowop gründlich. US-Universitäten rissen sich um das Projekt „Black Europe“, eine 24-CD-Box, die das erstmalige Auftreffen schwarzer Musik in Europa zwischen 1888 und 1927 dokumentierte. Rainer Lotz schrieb 700 Seiten Text dazu. Bob Dylan ließ vor zehn Jahren anrufen, um jeden auf Lager befindlichen Bear-Family-Titel einmal zu erwerben. Zweimal im Jahr ist Weize in Nashville. Dort kauft er nicht nur sein Lieblingskleidungsstück, die Latzhose, ein. Er trifft auch Musiker, Verleger, Sammler, Freaks, die das „Werkl“ der Bear Family am Laufen halten. Er unterhielt persönliche Kontakte mit Ikonen wie Johnny Cash, hatte aber immer mehr Freude, wenn er weniger bekannte Granden wie George Hamilton IV und Buddy Miller traf. Für die Deutschen arbeitete er, der früher Schlager nur nebenher hörte, diese unübersichtliche Welt akribisch auf. Auslöser waren seine ersten Reissues von seltenen Ted-Herold- und Peter-Kraus-Scheiben. Auf einmal meldeten sich Sammler mit ihren Ideen. „In Köln hatte ich Jürgen Brückner, der dann die meisten deutschen Sachen für mich produzierte. Das war ein Sammler, der fundiert war. Es gab ja auch solche, bei denen beinahe nur Begeisterungsfähigkeit vorhanden war. Jürgen war anders. Mit ihm bin ich durch die deutschen Archive von Polydor, Teldec und Electrola gestreift, um zu sehen, was man so machen kann. Dann haben wir zum Beispiel Petula Clark herausgebracht. Alles, was uns fehlte, war die deutsche Stereo Version von ,Downtown‘. Wir fanden sie viel später auf einer Kompilation. So etwas ist ärgerlich. Später hab’ ich ,1000 Nadelstiche‘, diese Serie von Bernd Matheja, produziert. Das ist ein Journalist, der sehr schräge Ideen hat. Solche Leute braucht man.“ Und so arbeitete er stets mit manischen Kennern, mit hysterischen Sammlern und mit professoralen Akkumulatoren von irrwitzigem Detailwissen zusammen.

(c) Bear Family

Kein Handy. Es war immer ein Geben und Nehmen
zwischen exzentrischen Sammlernaturen, Musikern und Weize und seinen Mannen. Jetzt zum 40-jährigen Bear-Family-Jubiläum erscheint eine opulente Drei-CD-Box mit Buch und DVD, die die Beziehungen all dieser Freaks untereinander dokumentiert. Musiker haben extra dafür Bärenlieder geschrieben und gesungen. Ry Cooder hat Weize mit seinem „Bear Family Song“ die vielleicht größte Ehrung zuteil werden lassen. „I want to be on Bear Family when I die, I want Richard to be ready, when it’s time for me to go“, singt der Slidegitarrist, der bemerkenswerte Konzeptalben aufgenommen hat. Dass der 70-jährige Weize demnächst in den Ruhestand gehen will, mag
niemand glauben, der im prächtigen Jubiläumsbuch
blättert. Zunächst bringt Weize noch Projekte wie eine George-Jones-Box, eine Hommage an den „R&B in D.C.“ sowie eine Woody-Guthrie-Tribute-Box zu Ende. Dann aber will er sich absetzen. „Mir ist die Verantwortung, die ich für meine 25 Angestellten habe, zu viel. Ich will keinen Druck mehr verspüren. Ich habe eigene Labels, die mit Bear Family nichts zu tun haben. Mit denen werde ich mich beschäftigen. Als bekloppter Sammler hat man immer etwas zu tun.“ Seine Gattin wollte dem oft schwer erreichbaren Workaholic ein Mobiltelefon verpassen. „Ich weigere mich. Meine Frau kommt immer mit dem Argument, dass eine neue Zeit angebrochen sei. Diese neue Zeit kann mir gestohlen bleiben.“

Tipp

Jubiläumsbox. „40!!!! Years Bear Family Records“ besteht aus drei CDs mit Bären-liedern, einer DVD und einem instruktiven Bildband. Nähere Informationen bei www.bear-family.de

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