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Sharon Jones: Weihnachten auf den Spuren von James Brown

„Mit der Liebe kommt die Authentizität. Die Hautfarbe spielt da keine Rolle“: Sharon Jones inmitten der Dap-Kings.
„Mit der Liebe kommt die Authentizität. Die Hautfarbe spielt da keine Rolle“: Sharon Jones inmitten der Dap-Kings.(c) Daptone Records/Jacob Blickenstaff
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Die US-Sängerin Sharon Jones entdeckt auf „It's a Holiday Soul Party“ die Kraft des sozialkritischen Weihnachtsliedes. Der „Presse“ erklärte sie, dass sie von Schwarz-weiß-Klischees gar nichts hält – und sich nicht als „retro“ sehen will.

Sharon Jones ist eine Traditionalistin. Vom modernen R & B hält sie wenig. Die sexuell aufgeladenen Videos einer Beyoncé findet sie gar nicht prickelnd. „Es ist ein Kreuz mit der modernen afroamerikanischen Musik wie Rap und R & B“, ächzt sie: „Da läuft stets der gleiche Schmäh: Sex, Drogen und Autos. Das ist doch primitiv.“

Die 59-jährige Jones, genauso wie Soul-König James Brown in Augusta, Georgia, aufgewachsen, verschlug es als Teenager nach Brooklyn. Brown war ihr großer Hero, auch in den Jahren, als sie hauptberuflich als Gefängniswärterin in der berüchtigten Strafanstalt Rikers Island arbeitete und nur nebenberuflich sang. Erst mit 40 Jahren wagte sie es, voll auf die Musik zu setzen.

Kurz davor hatte das französische Label Pure zu einer Session gerufen: Gesucht war eine Backgroundsängerin für Funklegende Lee Fields. Jones gewann diesen Contest und war bald selbst unprätentiöser Star der frisch in Brooklyn um das Label Daptone (ursprünglich ein Ableger von Pure) entstehenden Soulszene. Amy Winehouse nahm ihr mit sechs Grammys ausgezeichnetes Hitalbum „Back to Black“ in Brooklyn mit den Musikern von Daptone auf. Sharon Jones' Stimme ist auf Liedern wie „Rehab“ und „You Know I'm No Good“ zu hören.

2002 debütierte Sharon Jones mit „Dap-Dippin With“ endlich selbst als eigenständige Künstlerin. Von ihren herzerwärmenden eigenen Werken verkaufte sie zwar keine 25 Millionen Stück wie Winehouse, aber für ein solides Leben reichte es. Mit ihren fünf bislang eingespielten, stilvoll zwischen Soul und Funk changierenden Alben rechtfertigte sie ihren Spitznamen „Female James Brown“ jedenfalls mit Bravour.

Santa Claus ohne Kamin?

Auch ihr erstes Weihnachtsalbum „It's a Holiday Soul Party“ folgt den großen Fußstapfen von James Brown. Der hat ja in den Sechzigerjahren mit selbst komponierten Festtagsliedern wie „Santa Claus Go Straight to the Ghetto“ und „Let's Make Christmas Mean Something This Year“ den Pfad der Besinnlichkeit gemieden und stattdessen auf unverblümte Sozialkritik gesetzt. Genau die steht auch im Fokus von Jones' so gar nicht süßelnder Platte. Im hart groovenden „Ain't No Chimneys in the Projects“ stellt sie noch einmal jene Fragen, die ihre Mutter einst in leichte Verzweiflung trieben: „I wonder how Santa put my toys under the tree, I said, Momma can you tell me how this can be?“

Dem aufgeweckten Mädchen war nämlich aufgefallen, dass es in den Sozialbauten gar keine Kamine gab, durch die der Weihnachtsmann, wie es die Tradition nahelegt, kommen konnte. Ihre Mutter rettete sich mit dem vagen Hinweis auf die magischen Fähigkeiten dieser Berufsgruppe.

Zauberisch wirken auch Jones' Interpretationen von Weihnachtsliedklassikern. Irving Berlins „White Christmas“, das ja in der verhuschten Version von Bing Crosby zum Festtagsbestseller schlechthin wurde, präsentieren Jones und ihre semmelweißen Daptone-Jungs als rasanten Stomper à la Tina Turner. Wie war es möglich, derart echten, schwitzigen Soul mit weißen Mittelklasseknaben zu machen? Bei dieser Frage wird sie, sonst die Freundlichkeit in Person, ein wenig fuchtig: Von auf Rasse bezogenen Stereotypen hält sie nämlich gar nichts. „Mit der Liebe kommt die Authentizität. Die Hautfarbe spielt da keine Rolle“, bellt sie.

Auch vom oft pejorativ gemeinten Wort „retro“ vor der Genrebezeichnung Soul will sie nichts wissen, wenn es um ihre Musik geht. „Amy Winehouse war natürlich sehr wohl eine Retro-Soul-Sängerin. Und was für eine! Ihre Stimme war einmalig. Im Studio plauderte ich ein paar Mal mit ihr. Was mir auffiel, war, dass sie einen tief sitzenden Horror davor hatte, live zu singen. Sie war total scheu. Ihr sehnlichster Wunsch war es, verheiratet zu sein und Kinder zu haben. Ganz das Gegenteil von mir also. Für mich ist der Auftritt einfach alles.“

Einige ihrer Weihnachtslieder könnte Jones durchaus auch ins Programm ihrer Auftritte bei Sommerfestivals nehmen. Etwa das von reizenden Gesängen des Duos Saun & Starr umrahmte „Funky Little Drummer Boy“. Schon deshalb, weil für Jones nach ihrer überwundenen schweren Krebserkrankung eigentlich jeder Tag wie Weihnachten ist. „Ich kämpfe und hoffe noch auf zehn gute Jahre“, sagt sie und beschwört die Lichter in „8 Days (Of Hanukkah)“ und in „Big Bulbs“. Auch die Stall-Szenerie von „Stille Nacht, Heilige Nacht“ erstrahlt bei ihr in neuem Glanz. Dank des bläsergestützten Soulballaden-Arrangements, hauptsächlich aber wegen ihres innigen Gesangs. „Das mit dem Singenlernen klappt nur zu einem gewissen Teil“, erklärt sie: „Wenn man nicht das gewisse Etwas hat, diese Extraportion Herz und Talent, dann schafft man es einfach nicht zur Spitze. Die Stimme ist ein Gottesgeschenk. Auch Haltung ist wichtig. Ich wusste immer: Ich singe nicht für mich selbst, sondern fürs Publikum.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2015)

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