Pop

Lieder für zerzauste Seelen

JAZZFEST WIEN: KONZERT BURT BACHARACH
JAZZFEST WIEN: KONZERT BURT BACHARACHAPA/HANS PUNZ
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Burt Bacharach, der zwischen Kitsch und Existenzphilosophie balancierende Großmeister des Popsongs, beglückte in der Wiener Staatsoper.

Seine Bedeutung für die Popmusik kann man nur mit jener der Beatles vergleichen. 656 Songs sind copyrightmäßig auf seinen Namen registriert, darunter waren 73 Top-40-Hits in den USA, 52 in Großbritannien. Burt Bacharach, der neben George Gershwin und Duke Ellington wichtigste amerikanische Komponist des 20. Jahrhunderts, gastierte zum ersten (und wohl zum letzten Mal) in Wien. 88 Jahre musste er dafür werden.

Bereits die ersten Klänge führten auf Samtleitern in alle Himmel. „What the World Needs Now Is Love“, 1965 komponiert, ließ die Hörer sofort zwischen kühner Beseeligung und haltloser Melancholie pendeln. Welch Labsal für zerzauste Seelen! Mit herrlich tapsigem Klavieranschlag und eindrucksvoll brüchiger Stimme führte der geistig wache Bacharach mutig an die dünne Kante von Kitsch und Existenzphilosophie, wo seine ewige Kunst ihr Zuhause hat. Eine elfköpfige Band, darunter drei Vokalisten, war dafür aufgeboten, der Kakofonie des Wirklichen Einhalt zu gebieten.

Zum Eintauchen in diese Gegenwelt wurde zuerst ein Medley mit Liedern gegeben, für deren Texte der berühmte, 2012 verstorbene Hal David verantwortlich zeichnet. Es hob mit Dionne Warwicks Klage „Don't Make Me Over“ an, streifte „Walk on By“, das einst auch Isaac Hayes unsterblich gemacht hatte, mündete in „I Say a Little Prayer“, das zum Megahit für Aretha Franklin wurde.

Am Ende des Medleys stand „Do You Know the Way to San José“: Auffällig war hier die Gegenläufigkeit zwischen melancholischem Text und fröhlicher Musik, die zu Bacharachs bewährtesten Zaubertricks zählt. So war die bodenlose Trauer des eben verlassenen Protagonisten mit fröhlichen Rhythmen konfrontiert. Nicht einmal vor hellen Trompetenstößen schreckte Bacharach im Arrangement von „Do You Know the Way to San José“, dieser Geschichte einer jähen Trennung, zurück. Die Zwei-Mann-Bläsersektion auf der Bühne der Wiener Staatsoper kämpfte erfolgreich gegen die Streicherwinde an. Bacharach hatte eine einzige Violinistin aufgeboten, die wohl den Umstand camouflieren sollte, dass das Orchester im Keyboard wohnte.


Gänsehaut. Souverän führte der alte Herr durch sein Lebenswerk, machte Scherze, herzte seine Sänger(innen) und ätzte gegen Donald Trump. Ob „Arthur' s Theme“, „Trains and Boats and Planes“ oder das mit Elvis Costello komponierte „God Give Me Strength“, ein Highlight jagte das nächste. „Message to Michael“, das Marlene Dietrich, deren Orchesterleiter Bacharach lang war, einst als „Treue kleine Nachtigall“ gesungen hat, betörte ebenfalls.

Am allerschönsten war indes, wenn Bacharach selbst das erhob, was von seiner Stimme übrig ist. „The Look of Love“, „Alfie“, „Raindrops Keep Falling on My Head“ und vor allem „Wives and Lovers“, die wohl liebenswerteste Machohymne der Musikgeschichte, ritzten sich tief ins Gedächtnis. Das gab Gänsehaut galore.

Jazzfest Wien

Festival. Noch bis 11. Juli sind hochkarätige Musiker in Wien zu Gast. Drei Konzerttipps:

Jazz. John Scofield/ Brad Mehldau/Mark Guiliana. 5. Juli, Wiener Staatsoper.

Funk. George Clinton & Parliament Funkadelic. 9. Juli, Rathaus/Arkadenhof.

Kammermusik. Keith Jarrett – Solopiano. 9. Juli, Musikverein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2016)

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