Pop

Roskilde-Festival: Disco, Zorn und Euphorie

Auf sie konnten sich alle einigen: PJ Harvey mit Songs ihres neuen, exzellenten Albums „The Hope Six Demolition Project“.
Auf sie konnten sich alle einigen: PJ Harvey mit Songs ihres neuen, exzellenten Albums „The Hope Six Demolition Project“. (c) REUTERS (SCANPIX DENMARK)
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Triumphale Auftritte von PJ Harvey und Tame Impala, die Wiederkehr von LCD Soundsystem, Entdeckungen aus allen Genres: Das traditionsreiche dänische Roskilde-Festival zeigt, wie ein Großevent ohne Pop-Stangenware auskommen kann.

Es hätte ein würdiger Festival-Abschluss sein können, als Tame Impala am vorletzten Abend, während ihres größten Hits „Feels Like We Only Go Backwards“, zwei riesige Konfettikanonen zündeten: Die Australier markierten so nicht nur den Höhepunkt eines der umjubeltsten und besten Auftritte beim heurigen Roskilde-Festival, der sie zwischen Neo-Psychedelic und Disco-Pop zeigte. Die Momente kollektiver Euphorie im Konfettiregen verdichteten, was das dänische Festival so sympathisch macht: die positive, gemeinschaftliche Stimmung, wie es sie möglicherweise nur bei einem Non-Profit-Festival geben kann, das von über 30.000 Freiwilligen getragen wird. Seinen Gewinn spendet das Festival alljährlich an karitative und kulturelle Einrichtungen. Gewinn ist es auch für sein Publikum: Wer für die großen Headliner wie Red Hot Chili Peppers, Macklemore & Ryan Lewis oder Neil Young kam, ging mit unzähligen Neuentdeckungen. Denn hier wird dem Publikum mehr zugetraut als Pop-Stangenware.

Wurden heftig umjubelt: Tame Impala
Wurden heftig umjubelt: Tame Impala(c) Jesper Mortensen

Das erste große Konzert war auch ein politisches Statement: Damon Albarn, bekannt von der Britpop-Band Blur, versammelte gut 50 Musiker des ehemaligen syrischen Nationalorchesters für arabische Musik, die seit dem Krieg in ihrer Heimat in der ganzen Welt verstreut leben. Sie spielten ein über weite Strecken traditionelles Set mit bisweilen archaischem Groove. Gemeinsam mit Albarn ließen sie den Blur-Song „Out of Time“ mit Chor, Streichern und viel Percussions abheben. Ansonsten nahm sich Albarn zurück, ließ den Musikern allen Raum, um für 90 Minuten ein positives Syrien-Bild zu zeichnen.

Damon Albarn und das Orchestra Of Syrian Musicians
Damon Albarn und das Orchestra Of Syrian Musicians(c) Arthur Cammelbeeck

Krieg und Elend behandelte ohnehin PJ Harvey. Zum stampfenden Rhythmus von „Chain of Keys“ führte die Britin ihre neunköpfige Band wie eine Marschkapelle auf die Bühne. Ganz in schwarz gehüllt, ihr Saxofon in der Hand wie eine Waffe, eine Waffe der Empörung. Etwa darüber, dass die Nachbarn nicht mehr aus dem Krieg zurückkehren: „The neighbours won't be coming back“, sang sie, während Terry Edwards das zweite Saxofon spielte. Die Songs ihres exzellenten neuen Albums „The Hope Six Demolition Project“ spielt die Band mit atemberaubender Präzision und bewusst martialisch, mit zwei stehenden Schlagzeugern und Bläsern voller Zorn. Beim großartigen „Community of Hope“ hob Harvey die Hand, als wolle sie den Aufbruch, von dem der Chor kündet, noch verstärken. „The Wheel“ war mit vier Gitarren und Händeklatschen bis in die letzten Reihen des Publikums ein hymnisches Wehklagen: „Hey, little children, don't disappear!“, sang Harvey. „I heard it was 28.000“, antwortete der Chor. Großartig war auch die dunkle Version von „Down by the Water“, einem der älteren Stücke gegen Ende.

Nach solchen alle Festivalgäste vereinenden Konzerten verteilte sich das Publikum wieder auf die vielen kleineren Bühnen, um etwa zu den Kolumbianern Los Pirañas zu tanzen: Den ansonsten so schleppenden Cumbia-Beat beschleunigte die vielleicht beste Partyband des Festivals zum psychedelischen Freakout. Andere fanden im knüppelnden Mix aus Hardcore/Punk und Rap des US-Duos Ho99o9 ein Ventil für aufgestaute Energie. Wer nach etwas Ruhe suchte, konnte den verträumten Synthesizer-Klängen von Kaitlyn Aurelia Smith lauschen. Ein Mann namens Officerfishdumplings wiederum verdichtete die Musik seiner marokkanischen Heimat zu so noch nicht gehörter Tanzmusik: Nur einige Entdeckungen des Festivals, das löblicherweise auf Genre-Ghettos verzichtet. Beim Flanieren zwischen den Bühnen mischten sich die mit starken Auftritten von US-Acts wie Vince Staples oder Schoolboy Q bestens versorgten Hip-Hop-Fans so zwangsläufig mit Freunden von Metal, Grime, Indierock etc.

Savages: Fesselnde Lärmausbrüche

Auch zur späten Stunde war das Publikum aufmerksam: Von James Blake, einem Meister der Introspektion, ließen sich um drei Uhr früh noch Tausende fesseln. Auch vom Set der britischen Post-Punk-Band Savages konnte sich kaum jemand abwenden: Sie hämmerten ihre Songs mit höchster Konzentration bis zum Lärmausbruch aus ihren Instrumenten. Auch da war es schon weit nach Mitternacht. Bereits am frühen Nachmittag begeisterte Anderson .Paak, US-Aufsteiger an der Schnittstelle von Rap, R 'n' B und Pop, mit dem elastischen Groove seines Hits „Am I Wrong“, den er in einige Takte von David Bowies „Let's Dance“ münden ließ.

Der Schlusspunkt auf der Hauptbühne war auch ein Neubeginn. Vor fünf Jahren mit viel Getöse aufgelöst, beseitigte das LCD Soundsystem alle Zweifel am frühen Comeback: So intensiv, so fesselnd war dieses Monster einer Liveband auch an seinem Höhepunkt Ende der Nullerjahre nicht zu erleben. Nach all den infizierenden Disco-Rhythmen klang der allerletzte Song wie eine Hymne auf die Menschen, die hier vier Tage lang so friedlich miteinander feierten: das Euphorie und Melancholie so wunderbar verbindende „All My Friends“.

Der Autor war auf Einladung des Veranstalters beim Roskilde-Festival.

Konzerte in Österreich

PJ Harvey tritt am 8. Juli beim Festival Harvest of Art in der Wiener Marxhalle (Wien 3, Karl-Farkas-Gasse 19) auf. Dort spielen auch Element of Crime, Glen Hansard, Sophie Hunger u. a.

Ho99o9 kommen am 11. Juli gemeinsam mit den Suuns ins Wiener Fluc (am Praterstern).

Neil Young spielt am 23. Juli auf der Burg Clam (bei Klam bei Grein, Oberösterreich).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2016)

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