Neues Album

Inga Humpe: „Im Pop geht es um den Bruch“

„Egal wie viel Nähe man herstellt, am Ende bleibt irgendetwas in einem einsam“: Inga Humpe mit ihrem Lebensgefährten und 2raumwohnung-Partner Tommi Eckart.
„Egal wie viel Nähe man herstellt, am Ende bleibt irgendetwas in einem einsam“: Inga Humpe mit ihrem Lebensgefährten und 2raumwohnung-Partner Tommi Eckart.(c) It Sounds
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Auf „Nacht Tag“ singt Inga Humpe vom Duo 2raumwohnung erstmals ein Gemisch aus Deutsch und Englisch. Der „Presse“ erklärte sie, was sie von Technoschlager hält.

Wir leuchteten in den Ruinen, die ganze Welt kam angerannt, everybody was in love, wir dachten Weltfrieden bahnt sich an, now Weltfrieden is on the run.“ Prägnanter hat bislang keine deutsche Band die Ernüchterung der deutschen Rave-Kultur auf den Punkt gebracht. Das kühl arrangierte Lied eröffnet „Nacht Tag“, das achte Album des Berliner Elektropopduos 2raumwohnung.

Der Stimme von Inga Humpe, die man uncharmant ein Urgestein der deutschen Musikszene nennen könnte – sie sang bei der Punkband Neonbabies, aber auch bei DÖF („Codo“) –, hört man das Gewicht der Zeit nicht an. Humpe intoniert unverschämt mädchenhaft, vermittelt ein Staunen über die eigene Existenz, das gemeinhin nur Pubertierenden zugeordnet wird. So jung wie diese 61-jährige klingen ihre imaginären Enkel in den heutigen Clubs nie. Das Elektropopduo 2raumwohnung hat Humpe vor 17 Jahren mit ihrem Lebensgefährten Tommi Eckart gegründet, seither machen die beiden zeitlose Musik von internationaler Anmutung. Bisher allerdings nur mit deutschen Texten. Auf „Nacht Tag“ singt Humpe erstmals ein Gemisch aus Englisch und Deutsch, als Einflüsse dafür nennt sie Falco und Bilderbuch. Aber an einen internationalen Durchbruch denkt sie schon lange nicht mehr: „Die Weltkarriere ist mir zu stressig. Die muss passieren oder eben nicht. Welthits muss man nebenbei schreiben.“

Eigenes Label „It Sounds“

Trotzdem sind auf dem aktuellen Album ein paar Ohrwürmer, die jene Aura abstrahlen, die für Hipster aller Nationen unverzichtbar ist. In Songs wie „Hey Schmetterling“ und „Bonjour Chérie“ (mit Gastsänger Dieter Meier von Yello) mischen sich Coolness und Beseeltheit auf lässige Art. „Als Arbeit würde ich Musikmachen nicht bezeichnen“, sagt Humpe: „Man braucht ja keine dicken Nerven, um die eigenen Ideen zu verwirklichen.“ Die Situation auf dem Musikmarkt sieht sie freilich illusionslos: „Alle paar Jahre muss man sein Geschäftsmodell der Wirklichkeit anpassen. Bezüglich Streaming wurden wir alle von den Konzernen verschachert. Die haben 40, 50 Millionen Euro als Vorschüsse kassiert, von denen den Künstlern nichts zugute kam. Also mussten wir reagieren.“ So haben 2raumwohnung nach vielen Jahren bei einer großen Musikfirma mit „It Sounds“ ein eigenes Label gegründet. Ungestört können sie nun an den Subtilitäten ihres Sounds arbeiten und auch das Endprodukt opulenter gestalten. Das ist wichtig gerade in Zeiten, in denen der deutsche Schlager à la Helene Fischer zeitgeistige Technobeats kapert.

Was hält Humpe von dieser klanglichen Annäherung des Schlagers an den Pop? „Diese Art von dumpfen Beats würden wir nie einsetzen. Vor allem aber trennen uns sprachlich Welten. Statt Heidi-Deidi-Level geht es im Pop um den Bruch, die Auslassung und die Überraschung. Das Rausgehen aus dem schönen Bild – das ist es, was wir machen.“ So behandeln 2raumwohnung in den zehn neuen Songs komplizierte, ambivalente Gefühle. Etwa im elegischen „Somebody Lonely And Me“: „Es rufen die, die was verloren haben: Komm gib mir zum Atmen was von deiner Luft“, singt Humpe zu einer magisch-kühlen Synthiemelodie. Ein vergeblicher Ruf nach Symbiose? „Egal wieviel Nähe man herstellt“, sagt Humpe mit einem kurzen Seitenblick auf Eckart, „am Ende bleibt irgendwas in einem einsam.“

Auf Fühlung mit ihrem Publikum wollen 2raumwohnung auf zweierlei Art gehen: Im Herbst touren sie mit den elektronischen „Nacht“-Versionen ihres Albums, die akustischen Interpretationen sollen 2018 folgen.

Live in Wien: 13. September, WUK.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2017)

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