Pop

Die grantigste Stimme Englands: Mark E. Smith ist tot

Konzert von The Fall am Ostbahnhof Berlin 2010.
Konzert von The Fall am Ostbahnhof Berlin 2010.(c) imago/Votos-Roland Owsnitzki (Votos - Roland Owsnitzki)
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Der Chef der englischen Post-Punk-Band The Fall ist 60-jährig gestorben. Keiner konnte schimpfen wie er.

"I can clear a pub if I want to", sagte Mark E. Smith in seinem letzten Interview, und das konnte man ihm glauben. „Ranting“ nennt man es, wenn ein Mann im Pub nach einigen Pints die Stimme erhebt, um ohne Punkt und Beistriche auf die Regierung, die Brauereien und/oder das Wetter zu schimpfen. Mark E. Smith, ein ehemaliger Dockarbeiter aus Manchester, hat mit seiner Band The Fall – benannt nach dem Roman von Albert Camus – diese Ausdrucksform zur Kunstform erhoben.

Gegründet wurde die Band 1976, rechtzeitig für die Punk-Explosion, die ja einiges an Gift und Galle verschoss. Doch Mark E. Smith hatte die giftigste und galligste Stimme von allen, und sein Grant, artikuliert in breiten Midlands-Dialekt zu den harschen Postpunk-Klängen seiner Band, galt auch den Kollegen. Schon auf der zweiten Fall-Single, „It's The New Thing“ (1978), distanzierte er sich von ihnen: „They've got another side, pop heroes of the mind, while you suckers queue or work, money for us and play it up, we have never sold out.“ Wie schon den Clash waren ihm die USA gar nicht heuer, in „Totally Wired“ erklärte er: „You don't have to be weird to be wired, you don't have to be an American brand, you don't have to be strange to be strange, you don't have to be weird to be weird.“

"Prole Art Threat"

Vor seinem Hohn war auch das eigene Arbeiterklassenimage nicht sicher: Im Song „Prole Art Threat“ (1981) machte er sich darüber lustig – in verteilten Rollen. In „Middle Class Revolt“ verspottete er die Punk-Poser in den Clubs. Natürlich waren solche – bei ihm oft schwer verständlichen – Erkundungen des britischen Klassensystems nichts völlig Neues im britischen Pop: Mit einer Coverversion des Kinks-Songs „Victoria“ auf dem Album „The Frenz Experiment“ (1988) verneigte Mark E. Smith sich vor einem großen Vorbild, Kinks-Sänger Ray Davies. Wohl auch, indem er etwas für ihn Ungewöhnliches tat: Er sang (wenigstens im Refrain), statt nur zu reden respektive zu ranten.

An die 30 Alben hat Mark E. Smith mit seiner Band veröffentlicht, deren Besetzung er oft änderte: Auch mit seinen Musikern war er höchst ungnädig, er feuerte sie, wenn ihm danach war, und schimpfte danach gern über sie – auch in den Interviews, die bei den Musikjournalisten der Achtziger- und Neunzigerjahre als eine Art Mutprobe galten. Manchmal auch als Test der Trinkfestigkeit: Denn Mark E. Smith trank nicht gern alleine. Er trank und rauchte jedenfalls beständig und viel, entsprechend angegriffen war seine Gesundheit in den letzten Jahren. Zu seinem 60. Geburtstag im März 2017 verkündete die BBC fälschlich, dass er gestorben sei. Nun ist es wahr, das teilte Bandmanagerin Pam Van Damned (der Name könnte aus einem The-Fall-Song sein) mit. Die britische Musikszene verliert einen unfreundlichen Zeitgenossen, dessen Einfluss geblieben ist: Die Sleaford Mods aus Nottingham etwa führen seine Ranting-Kunst weiter. Auch den deutschen Diskurs-Pop hat er beeinflusst: Auf dem ganz à la Mark E. Smith benannten Tocotronic-Album „Wir kommen um uns zu beschweren“ (1996) hieß es: „Ich habe geträumt, ich wäre Pizza essen mit Mark E. Smith, natürlich hat er mir erzählt, wie scheußlich alles ist.“

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