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Die Wahrheit über den Luftballon

Der Entertainer trägt nicht mehr Zylinder, dafür einen Knautschhut, dem kein Regenguss etwas anzuhaben vermag: Michael Heltau, Doyen des Burgtheaters, philosophiert ebendort auch über sein Metier.
Der Entertainer trägt nicht mehr Zylinder, dafür einen Knautschhut, dem kein Regenguss etwas anzuhaben vermag: Michael Heltau, Doyen des Burgtheaters, philosophiert ebendort auch über sein Metier.(c) APA/REINHARD MAXIMILIAN WERNER (REINHARD MAXIMILIAN WERNER)
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Burgtheater. Michael Heltau und die Wiener Theatermusiker bitten wieder zur Soiree und spielen und singen, auf dass wir dem „blauen Ballon“ nachschauen, wie er sanft davonfliegt.

Immer nur sich selbst gespielt hätte er. Das hat man ihm vorgeworfen. Aber immer nur sich selbst zu spielen, das sei schwer genug: Michael Heltau räsoniert auf der Burgtheater-Bühne jetzt auch über solche Facetten seiner Kunst.

Sage keiner, er hätte nicht spätestens, als die Wiener Theatermusiker zu spielen begannen, der Vorhang war noch gar nicht offen, überlegt: Heltau, ein neues Programm? Wie ist er uns, auf d' Nacht, Herr Doyen, schon entgegengekommen? Als fescher Eroberer. Als Bonvivant, als Grandseigneur – und jetzt, 2018?

Der Vorhang ist offen, die Musik spielt, kein offenes Hemd, auch kein Frack, keine Blume im Knopfloch. Eine Jean, ein Jackett. Aus dem Zylinder ist ein Knautschhut geworden. So einem kann kein Regenguss etwas anhaben, an dem rinnt alles herunter, auch die ätzendste Kritik.

Wahrscheinlich ist er wirklich derselbe. Der Heltau.

Und eine dunkle Brille trägt er – ein Teiresias des Entertainments. Aus dessen Mund strömt die Wahrheit, selbst wenn er nur „La la, lala“ singt. Das ist ja auch wahr, solang es zu einer Melodie erklingt, deren Text mitschwingt, sogar wenn er nicht rezitiert wird.

„Ich will einen blauen Ballon!“, ruft er ja auch aus, nicht mehr, nicht weiter im Text. In diesem „Ich will einen blauen Ballon“ ist der ganze Altenberg schon drin. Mehr bedarf's nicht. Nicht einmal zur Warnung: Wir wissen ja, wenn wir ihn nicht auslassen, den blauen Ballon, dann bleibt er „an der Decke picken“. Einem blauen Ballon aber muss man nachschauen und nachschauen, während er in den Himmel hinaufschwebt.

Genau das ist es ja, weshalb wir alle zum Heltau und zu seinen Theatermusikern gehen, sobald sie uns einladen, schon gar, wenn das Programm diesmal nach dem blauen Ballon benannt ist. Eines ist dann sicher: Die Altenberg-Geschichte wird uns nicht vorgelesen an einem solchen Abend.

Die Musik und die Zeit

Denn ein solcher – fast hätt ich gesagt: solchener Abend wendet sich an diejenigen, die sich darüber freuen, dass sie vom nunmehrigen Doyen des Burgtheaters schon immer aufgefordert wurden, ihre Ballons auszulassen. Erstaunlich, wie lang man denen nachschauen kann. Jetzt wieder: Kaum hat es angefangen, schwebt man schon mit. Gerade hat man noch überlegt, wie das war mit dem Bonvivant, dem Grandseigneur oder dem Chansonnier. Gut, wenn einer, der das kann, immer er selbst ist. Da spielt die Zeit keine Rolle – oder nur insofern, als solche Künstler, der Chansonnier und seine Musikanten, mit ihr spielen können, mit dem „sonderbar' Ding“ – schon wieder ein Zitat; und alle wissen, wo es hingehört, und dass gleich die „Uhren alle stehen“ bleiben.

Weiß der Hofmannsthal, wie die das machen, der Heltau und Tscho Theissings Quintett mit dem fabelhaften Otmar Binder, der am Klavier, scheint's, nur ein paar Töne braucht, ein paar Zitatbrocken wie der Sprachkünstler, den er musikalisch umhegt und stetig vorwärtsbringt, auch wenn sich nicht gerade „alles dreht“. Herbert Mayr gibt am Bass den Rhythmus vor, nicht eins, zwei drei, die finden wir selbst beim Hören wie die Fortsetzung der angedeuteten Texte, sondern den richtigen, die wichtigeren Punkte, die dazwischenliegen – hie und da auch, um einen einzelnen von Maria Reiters Akkordeontönen, der selbstvergessen liegen bleibt, zu gliedern. Die Kunst der Andeutung beherrschen alle ebenso virtuos wie das großzügige Ausspielen einer Violinmelodie (Bettina Gradinger) oder quasi improvisatorische Stimmungsmalerei der Bassklarinette (Klaus Gesing).

Und all das fügt sich kammermusikalisch, woran die Stimme des Doyens ihren Anteil hat, ob er übers Metier philosophiert, Chansons singt, die er zum Teil schon lang nicht mehr im Programm gehabt hat, ob er Melodien summt, auf die sein Publikum wartet oder zwischendurch in diesem zartbesaiteten, behutsam komponieren Rondo den „blauen Ballon“ beschwört.

Einmal steigt frei nach Serge Lama sogar ein roter Ballon auf – und er schwebt jetzt auch, und wir schauen ihm nach.

Termine: 16. Februar und 19. März, 20 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2018)

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