Notizen vom Song Contest

Aus dem Schatten der Wurst

Tex Rubinowitz.
Tex Rubinowitz.(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Der einzige Kritikpunkt an Cesár Sampson wäre, dass er eine alberne Hose trägt.

Anfang der Woche fragte mich ein Mann im Anzug, warum sich meine Haltung bezüglich Cesár Sampson um 180 Grad gedreht hätte, von anfänglichem Desinteresse zu milder Begeisterung inzwischen. Das ist eigentlich recht leicht zu beantworten und ist dem ganzen Wettbewerb immanent. Sänger, Songs und Stile, die man bisher noch nicht kannte, weil man sich für sie vielleicht eher peripher oder gleich gar nicht interessiert hat (Musical), klingen, wenn man sich dann doch mit ihnen auseinandersetzt, isoliert aus dem ESC-Kontext, seltsam sinnlos, blutleer, steril, kein Mensch würde auch, wenn es den Contest nicht gäbe, solche Songs bauen, sie würden in den seltensten Fällen ohne ESC funktionieren, sie werden für den Wettbewerb konstruiert.

Conchitas „Rise Like a Phoenix“ hätte nach ihrem Sieg auch niemand mehr hören wollen oder können, geschweige denn ein ganzes Album mit verwandtem Zeug, wenn sie von ihrem Manager nicht hartnäckig durch- und weitergereicht worden wäre, ihre ganze Figur ist sozusagen für den Song Contest, für diesen einen Moment, geschaffen worden. Das soll jetzt keine Kritik sein, weder an Conchita noch am ESC noch an ihrem Siegeslied, sondern einfach nur beschreiben, wie untrennbar alles zusammenhängt, und wie nackt man danach mit so einem Sieg oder Siegeslied dasteht, und eben vorher auch.

Und so gilt es auch und insbesondere für Cesár Sampson, aus dem Schatten der Wurst tretend zu reüssieren. Ist er allerdings hier in Lissabon in dieser großen schillernden Blase, bekommt sein durchaus anständiger, wackerer Song plötzlich eine symbiotische Eigendynamik, die sich nun erstmals richtig entfalten kann, wenn man etwa sieht, wie sich manche seiner Kollegen mit Taschenspielertricks abstrampeln, um von ihrem dürftigen musikalischen Beitrag abzulenken. Auch das ist legitim, zeigt aber auch das vorhersehbar Flüchtige so einer Veranstaltung, wenn auch Siegerlieder am Tag nach dem Finale verpuffen wie Kartoffelboviste im trockenen Wald.

Der einzige Kritikpunkt an Sampson wäre, dass er eine alberne Hose trägt, eine mit einem sogenannten Hängearsch, aber das trägt man eben heute so, und man fragt sich, muss er das, wenn alle heute sowas tragen müssen, könnte er sich nicht antizyklisch anziehen? Und es fällt einem auf, wie gestrig man ist, und wie irrelevant solche Einwände sind, wenn man selbst ja auch keinen Fummel wie die Wurst tragen würde. Aber man singt ja auch nicht, und es reicht völlig, sich den Song Contest von außen anzusehen und einfach für ein paar Tage tolerant zu sein, zu staunen, ergriffen und verwundert zu sein, wenn ringsum sowieso alles kaputtgeht. Vielleicht ist der Song Contest so etwas wie das letzte Pfeifen im Walde.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2018)

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