Pop

Arcade Fire brachten Schwung in die Hüfte

Arcade Fire bei einem Auftritt in Manchester.
Arcade Fire bei einem Auftritt in Manchester. (c) imago/ZUMA Press (Andy Von Pip)
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Mit federnden Discosongs und komplizierten Klanggebilden widerlegte die Band in der Wiener Stadthalle triumphal das Fehlurteil, sie habe mit Indie-Pop zu tun.

Sie seien die größten Vertreter des Indie-Pop, heißt es immer wieder. Das ist blanker Unsinn. Allein ihr Hang zu üppiger Instrumentierung mit Oboe, Vibraphon und sogar Pygmäenflöte spricht dagegen. Indie-Pop ist nämlich ein blasser Pseudostil, der wie ein Soundtrack zu Friedrich Nietzsches düsteren Prophezeiungen über die Zukunft des Menschen in „Also sprach Zarathustra“ anmutet. „Alle sehr gleich, sehr klein, sehr rund, sehr verträglich, sehr langweilig. Ein kleines schwaches, dämmerndes Wohlgefühl über alle gleichmäßig verbreitet, ein verbessertes und auf die Spitze getriebenes Chinesentum.“

Arcade Fire agieren so unchinesisch wie nur möglich. Sie zeigen stets überlebensgroße Emotionen, pinseln ihr verqueren Gedanken in grellsten Farben. Alles an ihnen ist raumgreifend und doch selten pathetisch. Zudem verkneifen sie es sich, Anpassung als Rebellion auszugeben, wie es Indie-Pop so gerne praktiziert. Schon ihr Debütalbum, „Funeral“, von 2004 war ein Wunderwerk an musikalischer Opulenz, das kühn zwischen Pathos und Soulfulness balancierte.

Noch unpassender sind Punzierungen wie „beste Indie-Popband“, seit sich die Kombo mit Alben wie „Reflektor“ (2013) und dem aktuellen „Everything Now“ radikal in Richtung Disco und Dancefloor entwickelt. Nicht zufällig schaukelte in den luftigen Höhen der Wiener Stadthalle eine fette Discokugel. Auch das Intro, Walter Murphys funky Disco-Knaller „Fifth of Beethoven“, ließ keine Zweifel zu: Arcade Fire waren gekommen, um Bewegung in die Hüftgegend zu bringen. Der vorproduzierte Ansageteil, den die Band in bundesdeutschem Sprech aus der Konserve ansagte, als wären sie Boxchampions, war das einzig Alberne an diesem Abend. 21 Lieder sollten die Kanadier zur Aufführung bringen.

Mit dem melodiesatten „Everything Now“ nahm die Performance einen nachgerade idealen Anfang. „Every inch of sky 's got a star, every inch of skin 's got a scar“, seufzte Win Butler hier in einer Art ins Mikrofon, die an John Lennon erinnerte. Die Unendlichkeit im Augenblick zu fühlen, wie es noch die Popmusik der Sechzigerjahre lobte, das ist nun nicht mehr. In Butlers Szenario ist, wie obiges Zitat belegt, selbst der Moment total zugestellt. Allgegenwärtigkeit wird so zur Belastung.

Und so suchte die Band die Transzendenz in tanzbaren Rhythmen, in verwegen aufgetürmten Arrangements und immer wieder im Wechselgesang mit den Fans. Der Geist der Kooperation, der bei Arcade Fire im Studio herrscht, schwappte so auch aufs Publikum über. Neben federnden Discosongs wie „Reflector“ faszinierten an diesem Abend komplizierte Klanggebilde wie „Creature Comfort“. Während die Musik hier in die Höhen der Ekstase zog, verharrte der Text im Verwaltungsbezirk der Schwerkraft. „Some boys hate themselves, spend their lives resenting their fathers, some girls hate their bodies, stand in the mirror and wait for the feedback.“

Liebenswert fern vom Zeitgeist

Selbst der Projektion einer fantasierten, zukünftigen Berühmtheit haftete kurioser Pragmatismus an. „Make me famous, just make it painless“, hieß es da. Sängerin Régine Chassagne quietschte sich damit auf Betriebstemperatur. Auf der war sie vollends bei „Electric Blue“, einem Song, der – wie einige andere an diesem Abend – starke Assoziationen mit der Musik der frühen Talking Heads auslöste. In anderen großen Liedern, etwa „Neighborhood #3“, „Neon Bible“ oder „Une Année Sans Lumière“, zelebrierten Arcade Fire die schöne Melodie, als schrieben wir noch das Jahr 1978. Und lockten dann doch immer wieder das Tanzbein, selbst wenn es um Konflikte in Suburbia ging. Diese Band liebt man, weil sie sich so fern des Zeitgeists verortet hat. Sie ist komplex und weltumarmend. Also konsequent unamerikanisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2018)

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