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Jazzfest Wien: Eine Amerikanerin in Paris

Lichtempfindlich ist sie geblieben: Melody Gardot beim Jazzfest Wien in der Staatsoper.
Lichtempfindlich ist sie geblieben: Melody Gardot beim Jazzfest Wien in der Staatsoper.(c) Rainer Rygalyk
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Meisterin der Chansons und der subtilen Melodieführung: Melody Gardot bezirzte in der Wiener Staatsoper mit neuer Souveränität. Und einer Jacques-Brel-Zugabe.

Sie hat auch eine physische Wohnung in Paris, diesem Sehnsuchtsort für alle, die mehr in Träumen als in der Realität existieren: Melody Gardot aus New Jersey verströmt mehr französisches Flair, als es für amerikanische Jazzsängerinnen üblich ist. 2012 wurde Gardot sogar von Juliette Gréco, der Grande Dame des Chansons, der Ikone des Existenzialismus, geadelt: Die Zugereiste durfte „Sous les ponts de Paris“ als Duett mit ihr aufnehmen.

Auch die Zugabe an diesem schönen Abend in der Staatsoper, „La chanson des vieux amants“, war eine Hommage an die Liedkunst der Franzosen, auch wenn Textautor Jacques Brel gebürtiger Belgier war. Hier traute sich Gardot, die sonst gern glöckchenhell die Melodien bis in die letzte Verästelung ausreizt, in die Flüsterästhetik. Mit zarter Gestikulation warf sie sich in die Pose eines lang dienenden Ehegatten: Das Chanson ist aus männlicher Perspektive geschrieben und erzählt von den vielen Kriegen in einer Langzeitbeziehung. Von Liebhabern, die er duldete, in Zeiten, in denen sich sein Begehren zurückzog. Wundersamerweise blieb man dennoch zusammen: „Mais, mon amour, mon doux, mon tendre, mon merveilleux amour, de l'aube claire jusqu'à la fin du jour, je t'aime encore, tu sais, je t'aime.“ Die alte Liebe hält vom Morgenrot bis in die Abendstunden. Gardot interpretierte dieses edel gealterte Chanson so innig, wie es jemand nur tun kann, für den diese Art von kompromissbereiter Beziehung ein Wunder ist, das ein wenig fassungslos macht. „Am Ende haben wir beide ganz schön viel Talent aufbringen müssen, um alt zu werden, ohne jemals erwachsen gewesen zu sein“, lautet Brels Resümee am Ende.

Was für ein Chanson! Was für ein Abend! Angefangen hatte er mit einem sehr verhuscht beginnenden „The Rain“: An heißen Tagen ist es leicht, Sehnsucht nach kühlen Regengüssen und Herbstwinden zu haben, die die Wolken über das Firmament jagen. Hinter den Naturmetaphern verbarg sich natürlich auch ein klandestines Liebesansinnen. „Strangers weren't we scared to look into each other's eyes.“ Das französische Streichquartett, ein Treppchen höher als die Sängerin situiert, kommentierte diesen zwischenmenschlichen Moment des Lauerns mit wissenden Mollkaskaden. Die Zeit schien jetzt in lauter kleine Splitter zu zerfallen.

Nicht mehr am Stock

Vorbei sind die Zeiten, in denen sich Gardot beim Gang von Flügel zu Gitarre mit einem Stock helfen musste. Die schweren Wirbelverletzungen, die sie sich bei einem Unfall vor 15 Jahren zuzog, sind überwunden. Ihr neues positives Körpergefühl spiegelte sich auch im Cover ihres letzten Albums „Live in Europe“ wieder: Darauf ist sie nur mit einer Gitarre bekleidet zu sehen. Ihre Lichtempfindlichkeit dürfte geblieben sein: In der Oper trug sie dunkle Brillen. Traumwandlerisch schwebte sie über die Bühne, flüsterte ihren Musikern etwas zu oder wechselte einfach ihren Standort. Ihr persönlicher Gesangsstil hat alle Genregrenzen überwunden: In ihm fließen Jazzballade, Chanson und seit ihrem vorzüglichen, großteils portugiesisch gesungenen Album „The Absence“ auch Fado und Brazil mühelos ineinander. Von diesem Album brachte sie „So Long“, ein Lied des Abschieds, das für den Verlassenen nur wenig Trost bereithält: „I'm moving on, goodbye, so long!“ lautet die letzte Botschaft an den fristlos gekündigten Liebhaber.

Den delikaten Schmerz der Liebe zelebrierte sie in vielen Liedern dieses Abends. Manchmal aber war sie nur schwärmerisch. Wie in „If the Stars Were Mine“ und „Les Etoiles“, wo sie den Sternen in zwei Sprachen huldigte. So entspannt hat man Melody Gardot noch nie in Wien gesehen und gehört. Lustvoll rang sie mit der Stille, aber auch mit den schlechten Sangeskünsten ihrer Fans. Standing Ovations!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2018)

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