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Father John Misty: Der Hipster hat Liebeskummer

Fragen über den emotionalen Kollaps entzieht sich Misty. „Dafür müsste ich Leute vor den Vorhang holen, die das sicher nicht wollen.“
Fragen über den emotionalen Kollaps entzieht sich Misty. „Dafür müsste ich Leute vor den Vorhang holen, die das sicher nicht wollen.“(c) Emma Tillman
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Herzschmerz und Ironie – Father John Misty bringt in seinem jüngsten Album „God's Favorite Customer“ beides zusammen. Am Donnerstag gastiert er in der Wiener Arena.

Wie definiert man die Hipstergeneration? Vielleicht so: Sie glaubt nicht mehr so naiv an die Macht der eigenen Gefühle wie die Hippiegeneration, wie die Anhänger von Neil Young, Bruce Springsteen und Konsorten. Sie weiß um die permanente Vieldeutigkeit der Existenz, spürt, dass man sich auch in den heiligsten Lebensmomenten womöglich selbst inszeniert. Genau dieses Bewusstsein ist das Rückgrat der Kunst des Father John Misty, des Hipsters in Gestalt des Singer/Songwriters. Der Herzschmerz seines neuen Albums „God's Favorite Customer“ ist zu gleichen Teilen gefühlt wie gestellt.

Bei Father John Misty fordert die Ironie an den unmöglichsten Stellen ihr Recht, etwa, wenn besonders viel Gefühl im Spiel ist. Und sie dient ihm als Schutz – auch vor der Interpretationswut seiner Hörer. Sie schafft Distanz, wie ein Künstlername. Seinen eigenen hat er, der mit bürgerlichem Namen Joshua Michael Tillman heißt, nie wirklich erklärt. Father John Misty: Das klingt wie ein nicht völlig seriöser Laienprediger.

Auch auf seinem vierten Album „God's Favorite Customer“ flüchtet er immer, wenn man glaubt, ihm auf die Spur gekommen zu sein, flugs in Irrationalismus und Selbstmythologie. Manches ist Selbstgespräch, anderes ein Flüstern mit bösen Geistern. Authentizität scheint bei ihm Verhandlungssache zu sein. Wo das letzte Werk „Pure Comedy“ eine bittere und zynische Abhandlung aktueller Politik und ihrer Folgen war, wirkt das aktuelle wie ein Zeugnis eines persönlichen Zusammenbruchs. Fragen, was denn diesen emotionalen Kollaps ausgelöst habe, entzieht sich Misty natürlich. „Dafür müsste ich zu viele Leute vor den Vorhang holen, die das sicher nicht wollen“, sagt er.

Wenn Twitter eine Bar wäre . . .

Die Hörer können wählen, sagt er: „Sie können alles wörtlich nehmen oder glauben, dass es nur eine Art Trickserei eines ichbezogenen Beta-Männchens ist. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.“ So ist „God's Favorite Customer“ ein Heartbreak-Album, aber zugleich eines, das sich über die Nöte seines Protagonisten lustig macht. Gerade in den schmerzhaftesten Bekenntnismomenten begibt sich Father John Misty in die Position des Erzählers und beschreibt die Dinge, als gingen sie ihn persönlich gar nichts an. Besonders soulig singt er, wenn es besonders doppelbödig wird. Etwa im zart intonierten „Disappointing Diamonds Are The Rarest of Them All“, wo es ganz brutal heißt: „And a love that lasts forever really can't be that special, sure we know our roles, and how it's supposed to go.“

In seinen idealistischsten Momenten bekennt sich Father John Misty zur Liebe als Idee, nennt sie Substanz des Überlebens, des Menschseins überhaupt. Und prangert an, dass sich immer mehr im virtuellen Raum abspielt. „Wenn Twitter eine Bar wäre, würdest du sie betreten?“, fragte er einmal. Auch auf „God's Favorite Customer“ stellt er in zehn Liedern erstaunlich viele Fragen: gezählte 29, ohne die Wiederholungen zu rechnen.

Spricht auch das für eine Midlife-Crisis? Die schwärmerische Süße seines Debütalbums „I Love You, Honeybear“, Zeugnis seiner Liebe zu Gattin Emma, ist jedenfalls verflogen. Er ist ausgezogen, ins gutbürgerliche Lafayette Soho Hotel in New York übersiedelt. Dort suhlt er sich in Narzissmus und strapaziert den Etagenkellner, wie man in seinem Song „Mr. Tillman“ hört. Das Hotel ist so bei ihm nicht mehr – wie einst bei den Hippies, siehe „Hotel California“ oder „Chelsea Hotel“ – ein Symbol der Freiheit, sondern Sinnbild der Verlorenheit, des Versuchs, sich in einer artifiziellen Normalität zu stabilisieren. Das schildert der Song aus der Perspektive besorgter Hotelangestellter: „Is there someone we can call? Perhaps you shouldn't drink alone.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2018)

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