Pop

"Psychosomatic, addict, insane": Prodigy-Sänger Keith Flint verstorben

Archivbild von Keith Flint.
Archivbild von Keith Flint.REUTERS
  • Drucken

Der 49-jährige Sänger der britischen Band The Prodigy wurde tot in seinem Haus in Essex aufgefunden. Er war das Gesicht des überdrehten Techno der Neunzigerjahre.

Gepierct und tätowiert, behängt und bekettet, gezeichnet und beschmiert – und vor allem mit dieser grusligen, den Schrecken einer frühzeitigen Glatze mit Seitenteilen überhöhenden und persiflierenden Frisur: Keith Flint, 1969 in Chelmsford, Essex, geboren, war das charakteristische Gesicht des programmatisch überdrehten Techno-Rock der späten Neunzigerjahre, mehr noch: Er gab dieser Musik, die zunächst der programmatischen Anonymität des Techno verpflichtet war, erst ein Gesicht. Über die Genrebezeichnung lässt sich streiten, auch Hip-Hop war dabei, zumindest durch die Breakbeats, aber sie war auch egal, was zählte, war die Hysterie, und Flint war der Mann, sie zu verkörpern – und sich selbst, wie er in „Breathe“ sang, als „psychosomatic, addict, insane“ darzustellen.

"I'm the trouble starter"

Zunächst fungierte Flint bei der 1990 von Liam Howlett gegründeten Band The Prodigy als Tänzer und Posierer, er wachelte mit den Armen, wie es Ende der Achtzigerjahre im Rave-Pop üblich gewesen war, nur völlig ohne den „Can you feel the vibes“-Groove. Nein, Coolness war nicht Flints Sache: „I'm the trouble starter, punkin' instigator“, so stellte er sich vor: „I'm the self inflicted mind detonator.“ Das war 1996 in „Firestarter“, dem ersten Prodigy-Stück, bei dem Flint die Vocals übernahm. Diese Selbstvorstellung, in Verband mit den weit aufgerissenen Amphetamin-Augen erinnerte unweigerlich an John Lydon vulgo Johnny Rotten, den Sänger der Sex Pistols, der sich einst, 1976, mit „I am an anti-christ, I am an anarchist“ vorgestellt hatte. Flint war mit dieser Assoziation gewiss zufrieden, und die Reaktion blieb nicht aus: Entrüstete Eltern beschwerten sich bei der BBC über das Video, in dem Keith Flint – nein, wie arg! – gar nicht britisch ein T-Shirt mit Stars-and-stripes-Motiv trug. Ende 1997 folgte das Video zu „Smack My Bitch Up“, in dem man u. a. Hände sah, die eine gelbe Flüssigkeit in ein Glas schütteten und einer Frau derb in den Ausschnitt griffen. Drogen, Sex, Gewalt, alles da, der Clip wurde in England und den USA verboten.

Soundtrack zu Videospielen

Alle fanden das nicht so wild. „Diese Band will die Protzposen des Rock mit den Aufputschstrategien des Techno vereinen und scheitert live völlig“, schrieb 1997 die „Presse“, vielleicht etwas zu grimmig, über ein Prodigy-Konzert auf der Wiener Donauinsel: „Keith Flint gab den Rockstar wie Paulus Manker den Richard III, nur noch plumper.“ In den Nullerjahren bewährte sich die Musik von Prodigy vor allem als Soundtrack zu Videospielen von „Forza Motorsport 2“ bis „Enter the Matrix“; 2007 erschien ein Album mit entsprechendem Titel: „Invaders Must Die“. Der Text des Titelstücks beschränkte sich auf diese Zeile, in Gegensatz zu ihren US-amerikanischen Jahrgangskollegen Rage Against The Machine verzichteten The Prodigy auf ausführlichere Gesellschaftskritik.

„Ich finde, dass ich mittlerweile zu einem englischen Gentleman gereift bin“, erklärte Flint 2014 in einem Interview, doch auf der Bühne tobte er wie eh und je mit aufgestelltem Haar, in Österreich zum letzten Mal 2018 beim Nova Rock in Nickelsdorf, mit allen Krachern von „Firestarter“ bis „Breathe“.

Wie zuerst die Boulevardzeitungen "Sun" und "Daily Mail“ berichteten, wurde Keith Flint am Montag um acht Uhr früh tot in seinem Haus in Essex aufgefunden. Über die Todesursache war zunächst nichts bekannt, Fremdverschulden schloss die Polizei aus. Die Band bestätigte den Tod in einer Mitteilung an die Medien: "Mit tiefstem Schock und tiefster Trauer bestätigen wir den Tod unsers Bruders und besten Freunds Keith Flint. Ein wahrer Pionier, Innovator und wahre Legende. Er wird für immer vermisst werden. Wir danken Ihnen dafür, dass Sie die Privatsphäre aller Beteiligten zu dieser Zeit berücksichtigen".

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.