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Rock in Vienna: Nur Iggy Pop war groß

(c) APA/Sven Hoppe
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Ein welker Körper als subversives Statement: Gegen den wilden Punk-Diabolo Iggy Pop wirkte der Rest von Rock in Vienna am Samstag wie Kindergarten.

Die superben Alben „Préliminaires“ und „Après“ mit Chansons, Beatles-Songs, Bossa-Nova-Hits und selbst Jazzklassikern trugen nicht zufällig französische Titel. In gallischen Gefilden schätzt man die Croonerqualitäten, mit denen sich Iggy Pop in den Siebzigern einen Plattenvertrag mit CBS ergaunerte. Große Chansonnièren hofieren ihn nun, mit Françoise Hardy spielte er „I'll Be Seeing You“ ein, mit der herrlich artifiziellen Arielle Dombasle sang er den Andrew-Sisters-Schlager „Rum and Coca Cola“.

Im Rest der Welt muss der 69-jährige, von einem schweren Hüftleiden Gezeichnete den Godfather of Punk machen, die späte Verwandlung zum Barhockerentertainer will man ihm nicht erlauben. Auch Rock in Vienna verdammte zu einer Performance als furioser Punk-Diabolo. Erwartungsgemäß dauerte es nicht lange, bis er sein Lederhäutl abstreifte. Ohne falschen Genierer trägt er das Achselhaar beinah so lang wie sein Haupthaar, das imposante Aderngeflecht wetteifert kühn mit runzligen Faltenwürfen. Bei hektischem Durchmessen der Bühne hinkte er, wie der laut Mythologie aus eigener Schuld vom Himmel gefallene Teufel. Wie dieser auch gab Iggy Pop den Gebieter der schwarzen Seelen. Zur bitteren Losung der wehen Proto-Punk-Hymne „No Fun“ versammelten sie sich ehrfurchtsvoll hinter ihm, der vital wie kaum ein anderer Selbstzerstörung zelebrierte.

So wild wie Opa ist heute kein Enkerl

Heute muss er sich nicht mehr live ins Fleisch schneiden. Sein welker Körper ist wohl das subversivste Statement heutiger Rockkultur, die viel zu lange eins war mit Jugendkult. So wild wie Opa ist heutzutage kein Enkerl. Nicht zufällig scharte Pop auch ältere Musikanten um sich. Die Riffs seiner bösen tönenden Band ertönten messerscharf. Pop warf sich auf den Boden, machte das Hündchen: „I Wanna Be Your Dog“. Dann zündete er seinen wohl größten Hit, das ätzende „The Passenger“. Und nun kam das rote Stecktuch des Keyboarders in den Blick, wie er da mit Pops poppiger Melodie tändelte. Dessen Stimme hatte jetzt hohen Giftanteil: „I am the passenger and I ride and I ride, I ride through the city's backsides.“ Die Hinterhofansicht unserer Glitzerwelt, die öden Nicht-Orte interessierten ihn, den in einem Trailerpark Aufgewachsenen, stets mehr als konventioneller Glamour. Nicht zufällig nannte man ihn, der den Schatten als Licht interpretierte, „Clown Prince of the Boulevard of Broken Dreams“. Mit theatraler Schlatzerei schmückte er das bockig groovende „Lust for Life“, das düstere „Sister Midnight“, bevor die Band „Nightclubbing“ im hintersinnigen Funk-Arrangement à la Grace Jones anspielte. All diese Klassiker hat Pop in den Siebzigern gemeinsam mit David Bowie ersonnen. „We walk like a ghost, we learn dances, brand new dances“, brummelte er, auf einem Kaffeehaussessel herumrutschend. Dann knatterten Hymnen von der Wucht eines „Search and Destroy“ und „Five Foot One“. Vom neuen Album überzeugte dagegen nur die Schlussnummer „Paraguay“.

Alles davor: Kindergarten. Die mit dem Funk flirtende Schwedenband Mando Diao genauso wie die Actrice Juliette Lewis, die theatralisch die Rocksängerin gab, als stünde sie auf einer Bühne des Off-Broadway. Nur Iggy Pop war groß.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2016)

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