Die Rückkehr des Pop-Visionärs Jai Paul

Die wunderbaren Songs von Jai Paul, die nun offiziell verfügbar sind, gab es bisher nur als minderwertige MP3s in den schummrigen Ecken des Internets.
Die wunderbaren Songs von Jai Paul, die nun offiziell verfügbar sind, gab es bisher nur als minderwertige MP3s in den schummrigen Ecken des Internets.(c) Timothy Saccenti
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Vor sechs Jahren warf ein Leak den Briten Jai Paul aus der Bahn. Nun veröffentlicht er die unfertigen Stücke von damals – und zwei neue Songs. Sie klingen immer noch nach Zukunft.

Der Sommerhit, der keiner sein durfte, dauert genau 28 Sekunden: „Just wanna have a good time“, singt Jai Paul zu einem aufgekratzten Beat, sehnsüchtigen Keyboards und verführerischer Funk-Gitarre. „Good Time“ ist nicht viel mehr als eine Skizze, aber was für eine: Man kann daraus einen Song in Dauer-Rotation imaginieren, den Soundtrack eines, wenn nicht mehrerer Sommer. Dass es nie dazu kam, dafür sorgte einer der aufsehenerregendsten Leaks der jüngeren Musikgeschichte. Als „Good Time“ und andere Songs in der Nacht des 13. April 2013 auf dem Musikportal Bandcamp auftauchten, war Jai Paul eine der größten Zukunftshoffnungen im Pop. Die Songs des Briten mit indischen Wurzeln waren visionäre Synthesen aus Pop, Funk und R'n'B. Sie wurden von Beyoncé und Drake gesampelt. Manche sahen in ihm gar einen neuen Prince heranreifen.

Er holt sich die Kontrolle zurück

Es war aber nicht sein heiß ersehntes Debütalbum, das plötzlich zugänglich wurde. Es waren gestohlene Demos und unfertige Songs. Für Jai Paul war es eine „Katastrophe“. Er zog sich zurück, frustriert darüber, dass ihm die Chance genommen wurde, seine Musik in der bestmöglichen Form zu präsentieren. Dass er die Kontrolle über sie verloren hatte. Nun, sechs Jahre später, holt er sich die Kontrolle auf paradoxe Weise zurück: Indem er die Musik, die einst gegen seinen Willen veröffentlicht wurde, beinahe unverändert als „Leak 04-13 (Bait Ones)“ ins Netz stellt. „There is no way to put that shit back in the box“, schreibt er. Eine richtige Entscheidung. Jammerschade, wenn es diese wunderbare Musik auf ewig nur als minderwertige MP3s in den schummrigen Ecken des Internets gäbe!

(c) Beigestellt

Das perkussive „Str8 Outta Mumbai“ etwa besticht nicht nur mit einer unwiderstehlichen Mischung aus Euphorie und Melancholie. Wenn all die Bollywood- und Computerspiel-Sounds Hand in Hand gehen mit einem beseelten Gitarrenriff, Hindi-Vocals, getupften Synths und einem sanft, aber bestimmt drückenden Bass, dann wirkt es wie ein Statement für mehr interkulturelles Miteinander. „Jasmine“ wiederum zeigt Jai Paul von seiner verletzlichen Seite: Dieser Slow-Jam zieht mit betörendem Puls, gedämpfter Funk-Gitarre, Handclaps und extraweichem Falsett-Gesang in seinen Bann. „Zion Wolf Theme“, getragen von schwellenden Synthesizern, wirkt im Rückblick prophetisch: „In the company of thieves / Will I stay or will I leave? / Will they steal away my life?“, singt Jai Paul über bald stolpernde, bald schlurfende Beats.

Dass seine Karriere nur unterbrochen wurde, beweisen zwei fantastische neue Songs. „Do You Love Her Now“ und „He“ vollenden, was manche seiner Skizzen angedeutet haben. Ihr futuristischer Soul fesselt mit einem Wechselspiel aus Nähe und Distanz, Wärme und kühler Reduktion. Großartig, wie zartes Falsett in „He“ über sinnliche Gitarren-Licks und schmelzende Synthesizerklänge gleitet. Diese Stücke sind der endgültige Beweis, dass Jai Paul in einem Atemzug mit seelenverwandten R'n'B-Innovatoren wie Frank Ocean oder Blood Orange genannt werden muss. Bitte mehr davon!

>> Website von Jai Paul

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2019)

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