Vom Lächeln mit der kleinen Träne

Cecilia Bartoli, 2015
Cecilia Bartoli, 2015(c) ©Rolex/ Hugo Glendinning
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Mezzosopranissimo Cecilia Bartoli gibt erstmals die Isabella in Rossinis „L’italiana in Algeri“.

Das Motto der heurigen Pfingstfestspiele lautet „1868“: Cecilia Bartoli hat als deren Künstlerische Leiterin eine spannende musikalische Rundschau in und um Gioachino Rossinis Todesjahr programmiert. Dabei überrascht sie in einer neuen Rolle für Koloraturmezzosopran, die sie sich bewusst lange aufgehoben hat – und im Sommer wiederholt.

Frau Bartoli, Rossinis Opern haben schon früh in Ihrer Karriere eine zentrale Rolle gespielt. Dennoch geben Sie nun erst Ihr Debüt als Isabella in „L’italiana in Algeri“, einer seiner berühmtesten Opere buffe. Wie kommt es zu dieser überraschenden Konstellation?
Ich habe die Isabella natürlich oft angeboten bekommen und immer gesagt: Sehr gerne – aber noch nicht jetzt! Sie hat nämlich nichts mit jungen Mädchen zu tun wie der Rosina im „Barbiere di Siviglia“ oder mit der Cenerentola, sondern ist etwas Besonderes: Sie besitzt viel mehr Erfahrung und weiß zu leben. Ich fand immer, um diese Partie zu singen, dürfe man nicht zu jung sein. Man braucht eine gewisse Reife, um auf der Bühne eine glaubwürdige Isabella sein zu können. Ich denke, jetzt ist es bei mir so weit.

In dem Stück stoßen zwei Kulturen aufeinander: Auf der Suche nach ihrem vermissten Verlobten Lindoro erleidet die Italienerin Isabella Schiffbruch. Gemeinsam mit ihrem ergebenen Begleiter Taddeo fällt sie Mustafà in die Hände, dem Bey von Algier, an dessen Hof Lindoro nun Sklave ist. Prompt verliebt sich Mustafà in die gewitzte Isabella . . .
Für mich liegt im Kern der Handlung weder eine politische noch eine religiöse Auseinandersetzung, sondern es geht in erster Linie um Begehren. Das Begehren Mustafàs, dieses Mannes in schon vorgerückten Jahren, der plötzlich genug hat von seiner Ehefrau und sich nach einer Jüngeren umschauen will. Wir brauchen nur die Klatschspalten unserer Zeit ansehen: Gibt es ein aktuelleres Thema als dieses? Es ist eine Geschichte so alt wie das Universum! Aber auch Taddeo begehrt, und er ist ebenfalls, sagen wir, im besten Alter. Isabella begreift das und spielt mit diesen Gefühlen. Und sie weist Mustafà sogar zurecht und sagt, was er mit seiner Ehefrau tut, sei nicht in Ordnung. Also: Ja, es ist eine Komödie, aber sie hat auch eine Botschaft. Und plötzlich landen wir bei Rossini auch sofort bei der aktuellen MeToo-Debatte!

Von den Opere serie Rossinis bis herauf zu den Opern Verdis sind die Frauen meist edel und duldsam, also passiv. Erscheinen Ihnen die Komödien in diesem Punkt realistischer, lebensnäher als die idealisierten Tragödien, weil die Frauen da öfter die Initiative ergreifen und den Männern mit Esprit und Schlagfertigkeit zeigen, wo’s lang geht?

Es kommt immer auf die Oper an! Musik und Regie sind entscheidend dabei, wie eine Situation auf der Bühne wirkt. Das Komische scheint oft einfacher herzustellen, aber das ist gar nicht wahr: Nichts ist so schwer durchzuhalten wie Komik, die interessant bleiben soll, ohne in Karikatur, Groteske oder Slapstick zu enden und das Publikum am Ende mit einem Lächeln und einer kleinen Träne zurücklässt . . . Die Herausforderungen der Opera seria sind dagegen andere: Da ist es unsere Pflicht, nach den „wahren“ Figuren zu suchen, bei denen Musik und Darstellung zu einer einzigen Emotion verschmelzen. Rossinis Desdemona zum Beispiel ist für mich eine realistische Partie, bei der ich absolut echte Gefühle zu vermitteln versuche. Aber man kann nicht generell über die Lebensnähe weiblicher Opernfiguren entscheiden. Immer sind realistische Charakterzüge enthalten, und es ist unsere Aufgabe, diese auf der Bühne zu enthüllen. Rossini war zu Lebzeiten für seine Komödien berühmt, noch mehr aber für seine Opere serie, von denen er sogar deutlich mehr geschrieben hat. Er war ein Genie in beiden Genres – aber vielleicht ist aus heutiger Sicht der Humor wichtiger, denn davon bekommen wir im zeitgenössischen Leben oft nicht genug. Lachen eignet sich wunderbar dafür, Dinge zu enthüllen – und die dahinterstehende Botschaft kann dadurch sogar noch stärker vermittelt werden.

Die Künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele wird wohl über ähnliche Fähigkeiten verfügen wie Isabella . . .

Bei mir kann man jedenfalls zwischen Sängerin, Frau, Ehefrau und Künstlerischer Leiterin oft gar nicht trennen (lacht)! Mein Vorgänger war ein Mann, ein Dirigent (Riccardo Muti, Anm.). Die Programmierung ist eine Verantwortung, vor der ich großen Respekt habe. Die Pfingstfestspiele sind schon fordernd: Es reicht nicht, einfach nur bedeutende Kollegen einzuladen, man muss auch ein Thema finden und zusammen mit den Künstlern das passende Repertoire dazu. Aber nach dreißig Jahren Karriere als Sängerin haben sich mit der Erfahrung auch Ideen angesammelt, und es macht mir großen Spaß, diese Ideen mit aller Kraft zu verwirklichen. Ich diskutiere sehr gerne mit Markus Hinterhäuser und liebe es, mit ihm zusammenzuarbeiten, unseren kreativen Austausch möchte ich nicht missen. Außerdem kümmere ich mich um Les Musiciens du Prince – Monaco, das Originalklangorchester, das wir 2016 ins Leben gerufen haben. Zusammen mit 40, 45 Abenden Opern und Konzerten ist der Terminkalender dann schon einigermaßen voll!

Bei „L’italiana in Algeri“ spielt das Ensemble Matheus unter Jean-Christophe Spinosi im Graben, mit dem Sie in Salzburg schon „La Cenerentola“ gemacht haben. Ist die historische Aufführungspraxis der Schlüssel für Ihre Rossini-Interpretationen?

Unbedingt! Man muss diese Musik so hören – denn den Klang genau solcher Instrumente hatte Rossini beim Komponieren im Ohr! Nur so kann man die Frische, das Funkeln, das Wendige und Prickelnde seiner Partituren richtig verstehen. Man darf Rossini nicht wohlmeinend mit romantischer Klangfülle überladen, das würde seine Musik unter sich begraben und ihren Geist verfehlen. Bei Originalinstrumenten kommen dagegen alle diese wichtigen Details voll zur Geltung.

Sie haben als typischer Koloraturmezzosopran begonnen, eine Menge an vergessenem Repertoire wiederentdeckt und auch mit ausgewählten Sopranpartien verblüfft; in Salzburg zuletzt etwa als Bellinis Norma. Nach welchen Kriterien wählen Sie diese aus?

Letztlich ist es immer die Stimme, die über neue Partien entscheidet. Manchmal merke ich es schon beim Blick in die Noten, am erforderten Stimmumfang, an der Tessitura sowie an der Art der Orchestrierung. Für ein bestimmtes Repertoire ist man prädestiniert, manches geht darüber hinaus, anderes ist einfach nicht möglich. Es gibt Sopranpartien wie Isolde oder Tosca, von denen ich weiß, dass ich sie nie singen werde. Amneris ist zwar ein Mezzosopran, aber erfordert ein völlig anderes Instrument als ich es zur Verfügung habe. Dennoch, bei Wagner würde ich nicht grundsätzlich nein sagen: Aus seiner Zeit in Paris stammen einige sehr schöne französische Lieder (lacht). Wie gesagt, die Stimme ist ein Instrument, und man kann es nicht gegen ein anderes eintauschen. Wie im Orchester: Ein Flötenkonzert auf der Tuba, das geht nicht, und umgekehrt auch nicht. Natürlich liebe ich „La Traviata“, aber die wird genauso wenig kommen wie Aida oder Elisabetta in „Don Carlo“ – oder irgendetwas von Puccini. Dieses Repertoire überlasse ich gerne unserer wunderbaren Anna Netrebko, die wird eine fantastische Tosca und Turandot! Vom rein Musikalischen abgesehen muss ich auch die Figur mögen, im Libretto eine dramaturgische Kraft wahrnehmen können. Nur unter diesen Voraussetzungen kann und will ich mich in einen Charakter vertiefen. 

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