Salzburger Festspiele: Frömmigkeitsfilter und Operndramatik

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THEMENBILD SALZBURGER FESTSPIELEAPA/BARBARA GINDL
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Um „Passion“ geht es bei der Ouverture spirituelle: Starker Auftakt mit Pendereckis Lukaspassion und Beethovens „Christus am Ölberge“.

„Das ist ja schrecklich gut. Hat man je so ein Leiden gesehn? . . . Ich hätte nicht gedacht, dass etwas zugleich so hässlich – entschuldigen Sie – und so schön sein könnte“: Ein bisschen fühlte man sich am Freitag in der Felsenreitschule an diese verblüffte Reaktion Hans Castorps in Thomas Manns „Zauberberg“ erinnert, als der jene mittelalterliche Pietà in den Räumlichkeiten des aufklärungskritischen Jesuiten Leo Naphta entdeckt, ein „frommes Schrecknis im Winkel“.

Zum Auftakt der „Ouverture spirituelle“ am Beginn dieses Festspielsommers in Salzburg stand Krzysztof Pendereckis Lukaspassion, pardon: „Passio et mors Domini nostri Iesu Christi secundum Lucam“, 1966 im Dom zu Münster uraufgeführt. Mit seiner radikalen Verquickung von christlicher Tradition und Techniken der Avantgarde wie Zwölftonreihen, Clustern und Klangflächen, Geräuschen und Mikrotonalität, mag einem das Werk als ein Klassiker des 20. Jahrhunderts altbekannt sein. Man hört es aber doch anders, nämlich wie mit neuen Ohren, wenn man das Publikum der Salzburger Festspiele um sich weiß. Auf einmal erzählt sich die schockierende Dimension der Musik wieder mit – paradoxerweise, da doch Kent Nagano am Pult die Drastik stets mit Andacht abfedert.


Crux! Trotz einer gewissen Distanzierung ist in Pendereckis Magnum Opus ja auch das alte Jesuitendrama der Gegenreformation sedimentiert: Das ehrwürdige Latein verbindet sich mit herben künstlerischen Mitteln zu packend emotionalem, unmittelbar verständlichem Ausdruck.

Da ist Naganos differierender Ansatz, vielleicht mitbedingt durch die Akustik der Felsenreitschule, doppelt interessant. Er nähert sich dem Stück weniger auf dem direkten, dramatisch zupackenden, gleichsam diesseitigen Weg als vielmehr von der spirituellen, aufs Jenseits verweisenden Seite her. Das wurde schon in den ersten Takten spürbar: Wenn nach der Verneigung vor dem („Crux! Ave, o crux“) in leeren Oktaven und der chromatischen Klage der Knaben sich plötzlich aus Orchestertiefen aufsteigend die Töne zu einem schwarzen Klumpen zusammenballen, wirkt die Kantigkeit, das bewusst Raue, Unpolierte der Stelle doch gefiltert, gemildert: Das expressiv Hässliche entwickelt eine eigene Schönheit; mehr Überblick und Frömmigkeit als spontanes Theater also.

Der Aufführung hat das nicht geschadet. So ist auch das E-Dur des Schlussakkords, gewissermaßen die Einlösung einer Verheißung des Stabat Mater, nicht angehängt und plakativ, sondern – nun ja, würdig und recht. Mit famos intonationsgenauen Sängerscharen aus Polen, dem Philharmonischen Chor Krakau und dem Warschauer Knabenchor, intensiven Solisten und nicht zuletzt dem Orchestre symphonique de Montréal wurden zudem nicht bloß die großen Ballungen, sondern vor allem auch die extrem leisen Töne etwa der wispernden Streicher zu großen Momenten. Fulminant, aus welchen gerade schon hörbaren Pianissimo-Urgründen Sarah Wegener ihren ersten Einsatz entwickeln konnte und wie sie später mikrotonal wimmerte, wie Lucas Meachem als Christus sein devotes „Deus meus“ zu ritueller Kraft steigerte, Matthew Rose den Petrus in Bedrängnis zeigte oder mit welchem Pathos Sławomir Holland, in einer zentralen Arkade der Felsenreitschule postiert, die Worte des Evangelisten sprach. Nach langem Schweigen Jubel und Standing Ovations für die Ausführenden und vor allem den 84-jährigen Komponisten.


Stretta auf Stretta. Andächtige Ruhe vorm Applaus gab es auch tags darauf im Mozarteum nach Beethovens Oratorium „Christus am Ölberge“ – wobei in diesem Fall auch ein bisschen Verwunderung darüber mitgespielt haben könnte, wie lapidar knapp der finale Chor der himmlischen Heerscharen schließt, wo doch der Komponist in ähnlichen Jubelfällen kaum ein Ende finden kann und mit nicht versiegender Energie Stretta auf Stretta türmt. Im Gegensatz zu Penderecki mit seiner an Bach orientierten Beschränkung auf Bibel- und andere Texte kirchlicher Überlieferung hat der 33-jährige Beethoven hier ein Oratorium mit frei gedichtetem, dramatischem Text geschaffen, dessen Autor er dann zwar bitter hinterher schimpfte, dessen unverblümter Opernhaftigkeit er jedoch als den einzig richtigen Weg erachtete.

Wirklich vernimmt man heute in dem Stück zugleich die Nachwirkungen von Haydns „Schöpfung“ und, noch mehr, deutliche Ahnungen des späteren „Fidelio“: Die „Vorstellung des Chaos“ und das Dunkel von Florestans Kerker werden gleich zu Beginn eins. Riccardo Minasi, das Mozarteumorchester und der Bachchor Salzburg fanden dafür die passenden Farben sowohl für die dunklen Seelengemälde als auch die dramatischen Zuspitzungen und den Himmelspomp. Benjamin Bruns steigerte sich als Christus von tadellos lyrischen Phrasen zu geradezu trompetenhaft schmetternden Heldentenortönen, über deren irdischer Kraft Simona Šaturová als schimmernder Seraph schwebte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2018)

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