Schmetterlingsflügel und Götterbaum

Der Götterbaum ist eine Plage.
Der Götterbaum ist eine Plage.Ute Woltron
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Neophyt. Der chinesische Götterbaum, ein kurzlebiger, recht nutzloser und eigentlich auch nicht sonderlich attraktiver Baum, entwickelt sich aufgrund seiner Vitalität und Ausbreitungskraft zur europäischen Landplage.

Edward Norton Lorenz, US-amerikanischer Meteorologe und Mathematiker, hielt im Jahr 1972 anlässlich einer Tagung der „American Association for the Advancement of Science“ einen Vortrag, der in der Übersetzung folgenden Titel trug: „Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?“ Lorenz' These der winzigen Ursache und der darauf möglicherweise folgenden, jedoch so gut wie nicht berechenbaren großen Wirkung begründete die Chaostheorie, die sich natürlich nicht nur mit dem Wetter befasst, sondern auch mit vielen anderen dynamischen Systemen.

Im übertragenen und zugegebenermaßen weniger mathematischen als biologischen Sinn könnte man behaupten, dass die Flügelschläge bestimmter asiatischer Schmetterlinge im Europa des 19. Jahrhunderts heute erst für Probleme sorgen. Denn damals, und das ist weitgehend in Vergessenheit geraten, versuchte man in Norditalien, in Frankreich, vor allem aber auch ab 1856 in Wien, den alteingesessenen Seidenproduzenten China, Indien und Japan endlich Konkurrenz zu machen.

Zu diesem Zweck wurden nicht die äußerst empfindlichen chinesischen Seidenspinner importiert, die sich bekanntlich am Maulbeerbaum laben. Man holte vielmehr den für die Shantungseide verantwortlichen Götterbaumspinner ins Land, und der frisst, man ahnt es bereits, an den Blättern der gleichnamigen Bäume. Die brauchte man selbstredend ebenfalls, und seither gibt es sie – abgesehen von einigen bereits zuvor gepflanzten Exemplaren in großstädtischen Parks – in weiten Teilen Europas. Tatsächlich gibt es mittlerweile so viele von ihnen, dass sie sich zur Landplage entwickelt haben.

Ursprünglich aus China. Der Götterbaum Ailanthus altissima ist ursprünglich in China beheimatet. Er wächst extrem schnell und wird unter günstigen Bedingungen bis zu 30 Meter hoch. Sein Holz ist spröde und von geringem Wert. Im Vergleich zu anderen Baumpersönlichkeiten wird er auch nicht sonderlich alt, jedenfalls kaum je älter als 100 Jahre. Man darf dies als einen Vorzug betrachten, der allerdings durch die Gabe des vitalen Gewächses zunichtegemacht wird, sich ausgesprochen fruchtbar zu vermehren, und zwar über seine in reichen Mengen den Winden überantworteten Samen.

Der Baum wird nun zur echten Belästigung. Auf der Liste der 100 Schlimmsten, die die problematischsten invasiven Arten in Europa aufzählt, steht er ganz vorn, und es werden nationale und auch EU-weite Aktionspläne ausgearbeitet, wie man dieser botanischen Pest Herr werden kann. Denn wo der Götterbaum einmal Wurzel geschlagen hat, verdrängt er die biologische Vielfalt rund um sich. Er ist so dominant, dass er langfristig alles andere vernichtet und die Landschaft in eine Götterbaum-Monokultur zu verwandeln droht.

Er verträgt jede Witterung und kommt selbst mit Dürre tadellos zurecht. Er wächst aus den feinsten Mauerritzen, und so mancher Wiener Innenhof wird von gewaltigen, einst als Samen angeflogenen Götterbäumen verdunkelt, zu deren Füßen zahllose weitere Götterbäumchen dem Licht entgegendrängen. Ach, schau an, mag sich da mancher angesichts des noch rührenden Pflänzchens gedacht haben, das da in widrigster Umgebung im Hof dennoch gedieh: so ein lebenshungriger, tüchtiger Kerl! Darfst stehen bleiben und weiterwachsen. Ja, und diese Chance bleibt nie ungenutzt, wenn es sich um einen Götterbaum handelt. In absehbarer Zeit wächst außer ihm nichts anderes mehr, denn auch unterirdisch ist der Baum außerordentlich aktiv und treibt ein gewaltiges, alles andere verdrängendes Wurzelwerk.

Wer einen Götterbaum fällt, was aus Naturschutzgründen im gesamten Mittelmeerraum, aber auch in Österreichs Forsten, allen voran dem Nationalpark Donau-Auen, nach gezielten Aktionsplänen und in zunehmender Verzweiflung geschieht, bringt ihn damit höchstwahrscheinlich noch nicht um. Er wird aus dem verbliebenen Strunk beziehungsweise aus den Wurzeln gleich wieder austreiben. Aus diesem Grund werden die Bäume lieber „geringelt“, sprich, man schneidet tiefe Ringe in die Rinde, was den Baum austrocknen lässt.

Auch Robinien sind schädlich. Der Götterbaum ist dabei nicht der einzige, aber einer der lästigsten Neophyten. Robinien und Eschen-Ahorn gelten als ebenso schädlich für vielfältige Biotope. Wie es eigentlich dem Götterbaumspinner ergeht, war nicht zu recherchieren. Angesichts des Nahrungsangebots dürfte er jedoch recht gut drauf sein, der hübsche Nachtfalter, und auch wenn wider Erwarten die Götterbaum-Menge zurückgehen sollte, kann er als polyphages Insekt immer noch auf Liguster, Prunus, Holunder & Co. ausweichen.

Lexikon

Seidenspinner. Es gibt vier Schmetterlingsarten, aus deren Kokons Seide gewonnen wird. Neben dem Seidenspinner und dem Götterbaumspinner sind das der Chinesische Eichenseidenspinner und der Hyalophora cecropia.

Götterbaum. Die Vermehrung erfolgt so rasch, weil die Bäume ab Hochsommer zahlreiche Büschel voll Samen entwickeln, die ähnlich den Ahorn-Samen-Propellern vom Wind in die weitere Umgebung vertragen werden.

Invasive Pflanzen. Die Website der International Union for Conservation of Nature hält zahllose Statistiken und Daten zum Thema parat. www.iucn.orgH.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2014)

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