Der Herbst gehört Haselmäusen

Viele Apfelsorten kann man monatelang lagern.
Viele Apfelsorten kann man monatelang lagern.(c) Ute Woltron
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Die verschwenderische Fülle in den Gärten beschert Massen an Früchten, Kräutern und anderen guten Dingen, die in die Vorratskammern gebracht werden.

Es bricht die Zeit an, in der die Fleißigen unter den Gartenmenschen mit der Emsigkeit von Haselmäusen zwischen Garten, Küche und Vorratskammer hin und her eilen. Sie klettern auf Bäume und holen Äpfel, Zwetschken, Frühbirnen, Mirabellen herunter, räumen die Paradeiserstauden leer, buddeln die letzten Kartoffeln aus und überprüfen den Reifegrad der späten Karotten.

Das Kraut, idealerweise die alte Edelsorte des Spitzkrauts, wird dieser Tage vom Äckerchen geholt, eingeschnitten, mit gewaschenen Füßen samt frischen Socken zurechtgestampft, um sich über die nächsten Wochen im Gärtopf zu Sauerkraut zu wandeln. Gurkenüberschüsse werden zu Salz- oder Essiggurken, Zucchini mit Schalotten, Senfkörnern, gutem Öl und dergleichen zu pikant gewürzten Pickles – übrigens eine erstaunlich frisch nach Garten schmeckende Abwechslung an kalten Wintertagen.

Die Samen von Fenchel, Dillkraut, Kümmel kommen in luftige Tüten, die Vorräte an getrockneten Delikatessen wie Oregano, Minze, Liebstöckel, Bohnenkraut, Thymian, Zitronenverbene und so viele andere mehr werden nun noch schnell aufgestockt. Das über den Sommer meterhoch gewachsene Zitronengras muss auch noch irgendwann demnächst vor dem herbstlichen Einräumen geschnitten werden. Die dicken unteren Enden kommen am besten in den Tiefkühler, die scharfkantigen Blätter in die Darre, für Tees und schmackhafte Currys beispielsweise. Kurzum: Die Herbstküche duftet nach Frucht, nach Kräutern, nach Einlegessig und nach altem Landleben. Die Kunst der Vorratshaltung, vor ewigen Zeiten eine überlebensnotwendige Selbstverständlichkeit, ist wahrlich nicht ohne Aufwand, doch sie ist eine der Königsdisziplinen des Gärtners. Man braucht viel Zeit dafür, und auch recht viel Wissen. Ein geeigneter, kühler und nicht zu trockener Keller muss ebenfalls vorhanden sein, sowie das Fingerspitzengefühl des Gartengourmets.


Verwöhnt vom Angebot

Wir sind mittlerweile so dermaßen verwöhnt vom Angebot der Supermärkte und Geschäfte, von dieser stets zur Verfügung stehenden Fülle an Nahrung samt frischem Obst und Gemüse rund ums Jahr, dass wir kaum je einen Gedanken daran verschwenden, wie das denn eigentlich unsere Vorgängergenerationen in deutlich magereren Zeiten gehandhabt haben. Weggeschmissen wurde damals jedenfalls nichts, und ich persönlich erachte das als große Tugend, die ich Wohlstandsgeschöpf zwar anzustreben versuche, der ich jedoch aus Zeitmangel nur selten gerecht werde.

Das alte Bauernhaus meiner eigenen Kindheit war jedenfalls dank meiner talentiert gärtnernden und großartig kochenden Großmutter eine Art unerschöpfliche Viktualienquelle. Es verfügte über einen konstant kühl temperierten Erdkeller und über einen geräumigen Dachboden sowie über eine Vorratskammer, an der die Konservenglas-Unternehmerfamilie Rex ihre helle Freude gehabt hätte.

Unten im Keller lagerte in einer nur vom schwächlichen Licht einer Glühbirne durchdrungenen und selbstverständlich spinnwebendurchwobenen Finsternis alles an Wurzelgemüse, was der Garten über den Sommer hergegeben hatte: Kartoffeln, Karotten, Peterwurzen, Gelbe Rüben, Zeller. Die Erdäpfel befanden sich in Jutesäcken. Das Wurzelgemüse war in einem Sandbett vergraben, das sie über Monate frisch erhielt. Erst gegen Ende des Winters verloren die Karotten ihre Knackigkeit, dann kamen sie halt in die Suppe.

An den Wänden befanden sich tiefe hölzerne Stellagen, und in denen lagen, einander selbstredend niemals berührend, diverse Äpfel und butterweiche Birnen. Denn viele Apfelsorten lassen sich monatelang lagern, und viele von ihnen werden erst so richtig gut, wenn sie eine Zeit lang unter den rechten kühlen Bedingungen gerastet haben. Man erntet sie, wie die Fachleute das nennen, wenn sie pflückreif sind, und lässt sie bis zur Genussreife erst einmal in Ruhe.

Das gilt bedingt auch für Birnen, von denen manche Sorten ebenfalls erst während einer Phase des Ablagerns das ideale Aroma und die butterweiche Konsistenz entwickeln. Nur makellose Früchte sind in die Holzsteigen gekommen, denn ein fauler Apfel, eine angeschlagene Birne verdirbt die ganze Ernte, wenn man nicht aufpasst.

Über dieser Kelleroase lag besagte farbenfrohe Rex-Schatzkammer. Die Gläser mit den eingelegten Pfirsichhälften waren stets das Highlight. Die Früchte stammten aus dem großväterlichen Obstgarten, der süße Saft wurde eifersüchtig auf den Milliliter genau zwischen uns Kindern aufgeteilt. Die Kirschenkompotte, das Weichselfleisch, zahlreiche Varianten eingelegter Gurken und Gemüsepickles sowie Marmeladen ohne Ende bildeten eine fundierte Basis für Nach- und Hauptspeisen aller Art.

Selbst den Essig vergor sie selbst, und die Essigmutter, die schon in den 1970er-Jahren die Essenz ihrer Marinaden war, lebt tatsächlich heute noch in der Verwandtschaft fort, wird mit vergorenem Apfelmost gefüttert und wandelt den Alkohol um in feine Säure.

Und dann der Dachboden: Noch früher hingen hier geräucherte Würste in einem Kasten, aber diese Zeiten habe ich nicht mehr erlebt. Doch ab Herbst lagen hier über viele Quadratmeter die Walnüsse zum Trocknen auf. Wir Kinder schliefen oft in der Dachkammer gleich daneben und hörten beim Einschlummern zufrieden den Mäusen zu, wie sie die Nüsse über den Boden rollten. ?

Einrexen. Es gibt zwar zwei Hersteller von sogenannten Einmachgläsern, doch der namensgebende österreichische Lokalmatador dieser Tätigkeit hat Rex geheißen, und diese Traditionsgläser gibt es erfreulicherweise wieder in modernisierter Neuauflage.

Vorratskammer. Es gibt viel Literatur zum Thema Vorräte, Einlegen und dergleichen. Für Einsteiger nicht schlecht ist beispielsweise Bob Flowerdews Standardwerk mit dem Titel „Meine Vorratskammer“.

Apfellager. Die optimalen Konditionen für Lageräpfel bereitzustellen, ist nicht einfach. Idealerweise liegt die Temperatur um die drei, vier Grad, und die Luftfeuchtigkeit ist hoch. Ein Tipp, wie's gehen könnte, folgt demnächst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2017)

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